Hanns Zischler
Autor and Schauspieler
Berlin
Geboren 1947 in Nürnberg
Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin
Arbeitsvorhaben
1."Berlin ist zu groß für Berlin" - über die Genese einer uferlosen Stadt
Zu 1. Nach einigen Vorstudien und längeren "Feldforschungen" habe ich im Jahr 1999 in Frankreich einen Essay unter dem Titel "Berlin est trop grand pour Berlin" bei Mille et Une Nuits veröffentlicht. In diesem Aufsatz versuche ich, die durch Verfolgung und Krieg bestimmten Lebenswege von Gertrud Kolmar und Oskar Hut zu rekonstruieren. Beide waren gezwungen - jene wegen ihrer jüdischen Herkunft, dieser wegen seiner Desertion - Berlin jahrelang zu Fuß zu durchwandern. Auf sehr eindrucksvolle Weise haben sie ihre unfreiwilligen Stadtspaziergänge durch die riesige Flächenstadt geschildert.Die schiere stadträumliche Ausdehnung hat mich veranlasst, mich mit der Entwicklungsgeschichte Berlins näher zu befassen, einschließlich der geologischen und limnologischen Gegebenheiten und ihrer enormen Auswirkungen auf den Siedlungsraum (Lage in einem Urstromtal; Brandenburger Mühlenstau im Hochmittelalter; Priorität der Wasserwege bis in die frühe Neuzeit; Sande und Sümpfe als prekäre Basis für den Hochbau etc.).
Der prägende Charakter dieser besonderen Landschaft und die lange währenden Überlagerungen von slawischen durch germanische Siedlungsbewegungen haben mich veranlasst, den Ausformungen einer "berlinischen" Mentalität nachzugehen. Zu dieser Mentalität gehört meines Erachtens die Tendenz, die Stadt im Laufe der letzten Jahrhunderte mehrfach abzureißen und neu aufzubauen, eine Entwicklung, die durch den instabilen Baugrund sehr begünstigt wurde. In diesem Zusammenhang kommt hinzu, dass Berlin nicht zu Unrecht als "Wüste" bzw. Wüstung wahrgenommen wird (Fontane, Borchardt, Benn, Scheffler) und dieses auffällige Erscheinungsbild wiederum das Bewusstsein der Stadt und seiner Bewohner formt.
Diese Beobachtungen führen zu der Frage: Gibt es ein städtisches Unbewusstes? Mit der Plausibilität dieser Frage - auch im Vergleich zu anderen Städten - will ich mich in den Monaten am Wissenschaftskolleg beschäftigen.
Meine Formel "Berlin ist zu groß für Berlin" ist gewissermaßen eine Umfangsbeschreibung dieses städtischen Unbewussten. Es soll anhand historischer und aktueller Entwicklungen anschaulich gemacht werden. So halte ich beispielsweise die verdichtungsresistenten, flächenfressenden "Gründerzeit"-Jahre für auffällige (historische) Symptome der speziellen Berliner Uferlosigkeit; die neuen städtischen Brachen (Schloss resp. Wiese; Flughafen Tempelhof; Potsdamer Güterbahnhof etc.) sind Manifestationen einer genuinen Verdichtungsphobie, die ich mit der in dieser Stadt immer deutlicher sich abzeichnenden Lust am Amorphen in Verbindung bringe.
Der französische Verleger André Dimanche will das Buch bei André Dimanche éditeur Marseille verlegen. Mit aufgenommen werden sollen außerdem Essays des Berlin-Spaziergängers Thomas Martin sowie eine Reihe von Abbildungen (Grafiken, Fotografien, etc.)
Zu 2. Zusammen mit Reinhart Meyer-Kalkus möchte ich Formen erproben, wie einige Gedichte Hölderlins vorzutragen seien.
Lektüreempfehlung
Küster, Hansjörg. Die Elbe: Landschaft und Geschichte. München: Beck, 2007.
Zischler, Hanns. Tagesreisen. Berlin: Merve-Verl., 1993.
2. Hölderlin vortragen
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Zischler, Hanns (Köln, 2022)
Bann und Befreiung : über Lesen und Schreiben
Zischler, Hanns (München, 2019)
Die drei Leben der Hannah Arendt The three escapes of Hannah Arendt
Zischler, Hanns (Berlin, 2017)
Zischler, Hanns (Marbach am Neckar, 2016)
Errata. Fehler aus zweiter Hand : ein Gespräch in x Stichworten mit Hanns Zischler Marbacher Magazin ; 153
Zischler, Hanns (Berlin, 2015)
Zischler, Hanns (Hamburg, 2014)
"..., die Hölle aber nicht." ES-Dur
Zischler, Hanns (Berlin, 2014)
Labor der Phantasie : Texte zu Literatur- und Wissensgeschichte
Zischler, Hanns (Berlin, 2014)
Zischler, Hanns (Berlin, 2013)
Die Erkundung Brasiliens : Friedrich Sellows unvollendete Reise