Samantha Besson, Dr. iur., LLM
Professorin für Öffentliches Internationales Recht und Europäisches Recht
Universität Freiburg (Schweiz)
Geboren 1973 in Beirut
Studium der Rechtswissenschaft an der Université de Fribourg, der University of Oxford und der Universität Bern
Arbeitsvorhaben
Eine Rechtsheorie der Menschenrechte
Aim of the research project is understanding the idea of international human rights, its origins and its implications by producing a theory of human rights that is institutionally attuned, specifically legal, based on a republican political theory and distinctively European. Those four features correspond to four gaps identified in the existing literature on human rights theory to date.The project is not only about positive law and existing international human rights guarantees and their application. Of course, human rights law will be relevant, and international and European human rights standards and cases will be used in the course of research. But the project is to step back and think critically and rigorously about human rights and human rights practice in general. It proposes to examine and evaluate alternative conceptions of human rights and their functions, articulate and evaluate various types of purported justifications for saying that there are human rights and grapple with the problem of specifying the content of various putative human rights in such a way as to explain their legal guarantees and implementation.
The present project is not purely about the moral or political philosophy of human rights, either. Human rights are usually guaranteed qua legal norms, and human rights theory ought also to entail as a result a legal theory of human rights. The project aims at developing a theory of human rights that is useful to lawyers and more specifically to international lawyers or at least lawyers who can think the law in a global fashion. Unlike lawyers with expertise on human rights, philosophers often lack the positive law background to give complete and plausible answers to human rights issues, and human rights practitioners often miss the theoretical baggage to get a full grasp of the theoretical questions that arise out of their practice. This legal theoretical perspective will enable the author to broach issues that are not usually addressed by human rights theorists, but are vexed issues for human rights lawyers. The project intends as a result to provide the holistic approach a proper understanding of human rights requires.
Recommended Reading
Besson, Samantha. The Morality of Conflict: Reasonable Disagreement in the Law. Oxford: Hart, 2005.
-. "The Authority of International Law: Lifting the State Veil." Sydney Law Review 31, 3 (2009): 343-380.
-. "Human Rights and Democracy in a Global Context: Decoupling and Recoupling." Ethics and Global Politics 4, 1 (2011): 19-50.
Kolloquium, 10.01.2012
Warum brauchen die Menschenrechte ein theoretisches Fundament? Und welches?
Die internationalen Menschenrechte (International human rights, IHR) sind ein System internationaler Rechtsnormen, die die grundlegenden Interessen aller Individuen unabhängig von ihrem Status schützen; es entwickelt sich seit 1945 und ist ein äußerst aktiver Bereich der Rechtswissenschaft. Es gibt zahllose Veröffentlichungen zum Gehalt dieser Rechte und zur Frage, wie sie durchgesetzt werden können.
Im Unterschied zu den nationalen Menschen- und Grundrechten sind die internationalen Menschenrechte (IHR) jedoch nicht ausreichend theoretisch erfasst. Entscheidende rechtsphilosophische Fragen wie etwa die Besonderheit der Menschenrechte, ihre Berechtigung oder ihre Rechtsverbindlichkeit bleiben offen. Es gibt vielfältige Gründe für die Vernachlässigung dieser schwierigen philosophischen Fragen, die von den internationalen Menschenrechten und ihrer Praxis aufgeworfen werden - abgesehen von ihrer reinen Komplexität in der ethischen und politischen Theorie. Ein Grund liegt in der Theorieabneigung vieler Juristen, die sich mit den Menschenrechten befassen; sie meinen, die philosophischen Fragen nach den theoretischen Fundamenten der Menschenrechte lenken davon ab, dass in der Praxis für ihre Achtung gesorgt werden muss - kurz, dass derlei Bemühungen mehr oder weniger Zeitverschwendung sind. Ein anderer Grund liegt in der vermeintlichen Selbstverständlichkeit der moralischen Berechtigung der Menschenrechte und den gewissermaßen blasphemischen Implikationen einer theoretischen Fassung der Menschenrechte. Das Problem dieses Ansatzes liegt darin, dass er zu einer Inflation der Menschenrechte und im internationalen Recht zu sogenannten droits de l'hommisme und auf diese Weise zu einer Skepsis gegenüber den Menschenrechten führt, die nur unzureichend begründet ist. Außerdem hält dies diejenigen Juristen, die sich mit internationalem Recht befassen, davon ab, sich philosophischer Ressourcen zu bedienen, um wichtige und konkrete Fragen anzusprechen, die in der Praxis umstritten bleiben und zu selten aufgegriffen werden. An dieser Stelle kann man die folgenden viel diskutierten Fragen des internationalen Menschenrechts (IHR) nennen: die (demokratische) Legitimität der internationalen Menschenrechte und ihre kritische juristische Überprüfung, die Herausforderung durch die Universalität der Menschenrechte durch kulturellen Relativismus oder engstirnigen Provinzialismus, die Besonderheit und die Berechtigung der Menschenrechte von Kindern, alten Menschen und Schwerbehinderten, die Existenz und die Eigenart kollektiver Menschenrechte, die Existenz und Berechtigung von Menschenrechtsverpflichtungen internationaler Organisationen und nichtstaatlicher Akteure, die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und internationaler Organisationen, die Menschenrechte zu schützen, und ihr Verhältnis zu Menschenrechtspflichten, die Bedeutung und die Implikationen der Unteilbarkeit der Menschenrechte oder die Absolutheit einiger Menschenrechte.
In jüngster Zeit ist diese Lücke von Theoretikern und Theoretikerinnen, die sich mit Ethik und politischer Philosophie befassen, erkannt worden; sie haben angefangen, an einer Theorie der Menschenrechte zu arbeiten. Das Gesetz ist in diesen Darstellungen der Menschenrechte und ihrer Praxis jedoch nur eine Nebensache: die Rechtslage im internationalen Menschenrecht (IHR) wird nur als eine Frage der Kodifizierung, des Schutzes und der Durchsetzung der moralischen Menschenrechte betrachtet. Überdies kennen sich Philosophen aus Mangel an Zeit und spezieller Ausbildung oft nicht gut genug mit den vertrackten Details der internationalen Menschenrechtsgesetze (IHR) aus und verfehlen daher einige der wichtigsten Fragen, die sich aus der derzeitigen Menschenrechtspraxis erheben. Dies hindert sie nicht nur daran, der zentralen Stellung der Rechtslage in der Menschenrechtspraxis seit 1945 Rechnung tragen; es macht sie außerdem auch blind für die moralischen Folgen einiger rechtlicher Entscheidungen, die auf dem Feld getroffen werden: gesetzliche Vorschriften und Interpretationen sind moralisch nicht neutral und die wechselseitige Beziehung zwischen moralischen und gesetzlichen Menschenrechten bedarf der Erklärung. Überdies führt die Vernachlässigung der gesetzlichen Dimensionen der Menschenrechte dazu, dass die Menschenrechtstheoretiker der Ressourcen der Rechtstheorie beraubt werden. So sind etwa Rechtstheoretiker und -theoretikerinnen daran gewöhnt, den Eigenarten und der Macht normativer Praktiken Rechnung zu tragen, während sich viele Menschenrechtstheoretiker und -theoretikerinnen angesichts der sozialen und praktischen Dimension der internationalen Menschenrechte (IHR) immer noch den Kopf zerbrechen und sich fragen, wie sie diese mit ihren moralischen Grundlagen vereinbaren können; Rechtstheoretiker sind es gewohnt, mit der Genealogie und der Geschichtlichkeit der Rechtspraxis umzugehen, während Menschenrechtstheoretiker immer noch nach einem Weg suchen, die Geschichte der Menschenrechte vor und nach 1945 in ihrer aktuellen Darstellung der Menschenrechtspraxis zu berücksichtigen; und schließlich wissen Rechtstheoretiker, wie man mit Rechtsbegriffen umgeht, die zwar Moralbegriffen entsprechen, aber ihrem Wesen nach Rechtsbegriffe sind, während Menschenrechtstheoretiker den Besonderheiten und der moralischen Rolle von bestimmten Rechtsbegriffen eher misstrauisch begegnen (etwa "Recht", "Würde", "Nichtdiskriminierung").
Mein Projekt in diesem Jahr am Wissenschaftskolleg ist die Fertigstellung eines Buchs, das den vorläufigen Titel trägt A Legal Theory of Human Rights (der Untertitel ist noch offen). Ich nehme die rechtliche Dimension der Menschenrechte ernst und entfalte die Ressourcen der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, wenn ich mich mit den Schlüsselfragen der Menschenrechtstheorie befasse, dazu zählen: die Eigenart der Menschenrechte, ihre Berechtigung, Legitimität, Rechts- und Pflichtenträger, normativer Gehalt, Umsetzung und normatives Gewicht im Verhältnis zu anderen moralischen Anliegen und Menschenrechten. Mein Projekt hat zwei Besonderheiten, die es von anderen ähnlichen Unterfangen unterscheiden: es ist europäisch und begegnet daher den auf vielen Ebenen verorteten internationalen, regionalen und gleichzeitig nationalen Menschenrechtsgarantien, die in europäischen Staaten gelten, und der Rolle der Regionalisierung der Menschenrechte mit angemessener Aufmerksamkeit; und es ist ein republikanisches Projekt und bietet eine alternative Erklärung gegenüber den liberalen Darstellungen des Menschenrechts; dabei wird die politische und demokratische Rolle und Legitimität der internationalen Menschenrechtsgesetze (IHR) untersucht.
In meinem Kolloquium möchte ich den interdisziplinären Rahmen des Wissenschaftskolleg nutzen und mit Ihnen darüber diskutieren, warum eine Theorie der Menschenrechte wichtig ist, welche Folgen sie hat und wie man methodisch am besten an das Projekt herangeht. Zur Veranschaulichung und um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie die Argumentation konkret funktioniert, möchte ich zwei Themen und die entsprechenden Kapitel herausgreifen, an denen ich in den ersten drei Monaten in Berlin gearbeitet habe: Die Bestimmung dessen, wer uns was aufgrund unserer universellen Menschenrechte schuldet (Pflichtenträger der Menschenrechte: Our Human Rights, but Whose Duties?), wie man Konflikte zwischen Menschenrechten lösen sollte und ob man ein Menschenrecht gegen ein anderes in die Waagschale werfen darf (Das Gewicht der Menschenrechte: Conflicts of Human Rights - To Balance or not to Balance Human Rights Duties?).
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Besson, Samantha (Baden-Baden, 2022)
Zum Wiederaufbau der internationalen Institutionenordnung : Antrittsvorlesung gehalten am 3. Dezember 2020, Lehrstuhl für Internationales Institutionenrecht, Collège de France Reconstruire l'ordre institutionnel international
Besson, Samantha ([La Haye], 2021)
La due diligence en droit international Les livres de poche de l'Académie de droit international de La Haye ; 46
Besson, Samantha ([Paris], 2021)
Reconstruire l'ordre institutionnel international Leçons inaugurales du Collège de France ; n° 298
Besson, Samantha (2020)
Besson, Samantha (Paris, 2020)
Concerter les civilisations : mélanges en l'honneur d'Alain Supiot
Besson, Samantha (2015)
Human rights and constitutional law : patterns of mutual validaiton and legitimation
Besson, Samantha (Cambridge, 2014)
European human rights pluralism : notion and justification
Besson, Samantha (2013)
The egalitarian dimension of human rights