Thomas Christensen, Ph.D.
Professor für Musikwissenschaft
Universität Chicago
Born in 1954 in New York
Studied Music at Yale University
Arbeitsvorhaben
Tonalität im europäischen Musikdenken des 19. Jahrhunderts
During my residency at the Wissenschaftskolleg, I will be working on a monograph concerning the problem of musical tonality as viewed in the 19th century. It was during this time that the concept of tonalité became of obsessive interest to European musicians. As promulgated by the Belgian music historian and theorist François-Joseph Fétis in the 1830s, tonalité was conceived as a definable topos of music that could distinguish specific styles and historical periods of Western music. Most famously, Fétis drew a strong line between an early form of diatonic "plainchant" tonality from the more affective language of modern harmonic tonality (which Fétis distinguished above all by the appellative defining character of the dominant seventh chord). We can see how the strong distinction musicologists draw between early and later forms of tonality affected - indeed even helped to motivate - their communal project of rehabilitating plainchant by cleansing it of all tonal contaminants that had accumulated over time. At the same time, the concept of tonality was elastic enough to help explain (and help critique) the encroaching chromatic music that was beginning to filter across the Rhine from composers in Germany, above all Wagner.Yet tonality was something that did more work than simply distinguish styles of Western art music. Critics invoked it to understand vernacular music, particularly the folk music and chansons of the provinces. At the same time, scholars (particularly from Germany) were attempting to analyze the modal practice of various Arabic, South Asian and East Asian musical traditions by identifying their particular "tonalities" (imagined via the differing scale systems each employed). The concern to identify and demarcate musical cultures with their own specific tonalities bespeaks an obvious anxiety among European musicians in the 19th century. Yet the anxiety did not end there. In the early 20th century, avant-garde composers such as Schönberg declared traditional harmonic tonality to be a dead language that was now superseded by his innovations with "atonal" and serial music. Of course Schönberg's prophecy proved futile. Still, that many composers to this day feel a need to declare some kind of allegiance within the "tonal oder nicht tonal" polarity suggests that the stakes remain high in any discussion of tonality.
Recommended Reading
Christensen, Thomas, ed. Cambridge History of Western Music Theory. Cambridge: Cambridge University Press, 2002. (Second paperback edition, 2005.)
-. Aesthetics and the Art of Musical Composition in the German Enlightenment: Selected Writings of Johann Georg Sulzer and Heinrich Koch (co-authored and translated with Nancy Baker). Cambridge: Cambridge University Press, 1995. (Second Paperback Edition, 2007.)
-. Rameau and Musical Thought in the Enlightenment. Cambridge: Cambridge University Press, 1993 (Second paperback edition, 2004.)
Kolloquium, 15.05.2012
Tonalité in der musikalischen Vorstellungswelt Frankreichs im 19. Jahrhundert
Als der belgische Musikhistoriker François-Joseph Fétis in den 1830er Jahren den Begriff der tonalité einführte, konnte er kaum wissen, wie umfassend der Einfluss dieses Begriffs werden sollte. Tonalität wurde im 19. Jahrhundert zum meistvergebenen Etikett, um die Merkmale des modernen Systems musikalischer Tonarten und Harmonien zu bezeichnen, in dem ein Großteil der Musik dieser Zeit notiert war. (Tatsächlich ist dies das System, das wir im Wesentlichen auch heute noch verwenden). Doch der Begriff konnte auch dazu gebraucht werden, um die Unterschiede in der Tonsprache zu definieren. Denn Fétis glaubte, dass die verschiedenen Musikperioden und -kulturen ihre eigene, einzigartige Tonalität hatten. In einem intellektuellen Zeitalter, das von den Kräften des Historismus und Orientalismus angetrieben wurde, wurde Tonalität zur nützlichen Kennzeichnung, um diese Unterschiede zu definieren. Doch der Begriff verriet auch eine offenkundige Beklommenheit unter den Musikwissenschaftlern, die diese Etiketten verwendeten.
In meinem Vortrag möchte ich mehrere Fallstudien zur musikalischen Tonalität aus dem Buch erörtern, das ich während meines Aufenthaltes am Wiko fertig schreibe; dazu ich möchte meine Ausführungen mit Musikbeispielen erläutern. In jedem dieser Fälle beriefen sich französische Musiktheoretiker, Historiker und Kulturanthropologen auf Kategorien der Tonalität, um verschiedene musikalische Alteritäten zu definieren und voneinander abzugrenzen. Manchmal waren diese tonalen Unterschiede Gegenstand des Stolzes und des Selbstverständnisses. So stoßen wir etwa auf katholische Ultramontanisten, die eine historische tonalité du plain-chant festschrieben und so versuchten, die Praxis des mittelalterlichen Gregorianischen Chorals aus der säkularen Kontamination durch die "moderne Tonalität" wiederauferstehen zu lassen - und den Choral gegen diese abzuschotten. Ebenso schwärmten zahlreiche musikalische "Anthropologen" (heute würde man sie Ethnomusikologen nennen) in abgelegene Provinzen aus, um die mündlich tradierten Volkslieder aufzuschreiben (das chanson populaire) - im Glauben, dass diese musikalischen Traditionen eine autochthone, ursprüngliche musikalische Tonalität darstellten, die als echt französisch gefeiert werden konnte.
Andererseits war die Motivation für tonale Kategorisierung manchmal weniger freundlich. Die Orientalisten, die mit der Untersuchung der Musik verschiedener französischer Kolonien in der Levante oder im Fernen Osten begannen, waren großenteils abgestoßen von dem unvertrauten mikrotonalen Gesang und den dissonanten Verschiebungen in den Tonleitern, die sie hörten; sie waren sicher, dass diese Eigenheiten im Vergleich zum Westen eine minderwertige und unterentwickelte Stufe der Tonalität darstellten. (Natürlich hinderte dies die Opernkomponisten jener Zeit nicht daran, diese Klänge zu parodieren, um ihrer eigenen Musik einen exotischen Anstrich zu geben.) Doch die vielleicht größte Quelle der Verunsicherung für die französischen Musiker kam gewissermaßen von der anderen Rheinseite, wo die Chromatik und "Zukunftsmusik" Wagners auf eine neue Entwicklung der musikalischen Tonalität hinwiesen, die den musikalischen Stolz und das musikalische Erbe der Franzosen erneut bedrohen sollte.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Christensen, Thomas (Chicago, 2019)
Stories of tonality in the age of François-Joseph Fétis
Christensen, Thomas (Cambridge [u.a.], 2006)
Aesthetics and the art of musical composition in the German enlightenment : selected writings of Johann Georg Sulzer and Heinrich Christoph Koch Allgemeine Theorie der schönen Künste <engl.>
Christensen, Thomas (Cambridge [u.a.], 2004)
The Cambridge history of Western music theory Western music theory
Christensen, Thomas (Cambridge [u.a.], 2004)
Rameau and musical thought in the Enlightenment Cambridge studies in music theory and analysis ; 4