Jurko Prochasko
Literat, Übersetzer
Universität Lemberg
Geboren 1970 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine
Studium der Germanistik und Psychologie an der Universität Lemberg und Gruppenpsychoanalyse bei der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenpsychoanalyse und Gruppendynamik, Altaussee, Österreich
Arbeitsvorhaben
Ein Buch über Lemberg
Im Laufe des Aufenthalts am Wissenschaftskolleg zu Berlin soll ein Buch über Lemberg entstehen. Es handelt sich dabei um einen im Auftrag des Suhrkamp-/ Insel-Verlags zu verfassenden essayistischen Reiseführer für dessen Reihe "Länder, Städte, Reisen".Er wird einerseits sehr subjektiv erzählen, andererseits aber so geschrieben werden, dass er durchaus auch Auskunft über die komplizierte und vielfältige Geschichte dieser Stadt, ihre geographische, urbane und semantische Topographie, ihr Geistes- und Literaturleben gibt. Stilistisch anspruchsvoll, soll er hohen ästhetischen Erwartungen entsprechen, unverkennbare persönliche Züge des Verfassers tragen und gleichzeitig durchaus auch hilfreich sein, sich in der Stadt zurecht zu finden. Beispiele dafür gibt es zahlreiche, es sei hier unter den neueren Veröffentlichungen nur auf die Istanbul-Biographie von Orhan Pamuk hingewiesen. Darüber hinaus liefert ja die gesamte Reihe die besten Belege.
Der Standort Berlin eröffnet in diesem Sinne bestmögliche Vorteile, ist er doch seit langem (auch schon vor dem Umzug des gesamten Suhrkamp Verlags nach Berlin) der Sitz des Ost- und Mitteleuropa-Büros dieses Verlags mit dafür zuständigen Lektorinnen und Lektoren.
Der Arbeitsablauf ist so gedacht, dass der Verfasser bereits mit einer ersten Version des Buches nach Berlin kommt und im Laufe der darauffolgenden Monate in enger Zusammenarbeit mit der Lektorin, Katharina Raabe am Text arbeitet, um gegen Ende dieser Frist das Erscheinen des Buchs zu ermöglichen.
Lektüreempfehlung
Prochasko, Jurko. "Die sarmatische Zivilisation." In Sarmatische Landschaften: Nachrichten aus Litauen, Beloruss, der Ukraine, Polen und Deutschland, herausgegeben von Martin Pollack, 233-248. Frankfurt/Main: Fischer, 2006.
-. "Es gibt niemanden mehr, dem diese Stadt gehört." In Lemberg: eine Reise nach Europa; [Begleitband zur Ausstellung der Stiftung Neue Synagoge - Centrum Judaicum Berlin: "Wo ist Lemberg?", 2. September bis 2. Dezember 2007], 112-120, herausgegeben von Hermann Simon. Berlin: Links, 2007.
-. "Marktplatz der Literaten: Utopien ohne festen Wohnsitz." In ibidem, 175-187.
-. Blaszczuk, M., A. Pranzl, J. Prochasko und T. B. Prochasko. Galizien-Bukowina-Express: eine Geschichte der Eisenbahn am Rande Europas. Wien: Turia+Kant, 2007.
Kolloquium, 26.06.2012
Genius oder Genius Loci
Wie kommen wichtige, überdurchschnittliche oder gar eminente wissenschaftliche Leistungen zustande? Warum gibt es an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten häufiger und bedeutendere kreative Errungenschaften als anderswo? Was sind die Voraussetzungen für wissenschaftliche Brillanz und Exzellenz und ihr besonders auffälliges Auftreten an manchen Orten, in manchen Milieus, unter manchen Umständen?
Denn von Lemberg einer bestimmten Zeit zu schreiben, ohne dessen herausragende wissenschaftliche Errungenschaften und die damit verbundenen faszinierenden Persönlichkeiten zu erwähnen - "das Lemberger Phänomen" des ausgehenden 19. Jahrhunderts und bis zum Zweiten Weltkrieg -, ist geradezu undenkbar. Das schulde ich meinen künftigen Lesern, möchte es aber selbst zunächst gerne mit Eurer Hilfe verstanden haben.
Was ist hier anzubieten habe, ist kein historischer, kein ideengeschichtlicher, kein wissenschaftstheoretischer, gnoseologischer oder epistemologischer Diskurs. Aber auch keine literarische Lesung. Daraus ergibt sich die Kompromissform des Kolloquiums: als Nicht-Spezialist, sondern Autor nach verschiedenen Möglichkeiten und Ansätzen zu suchen, um sich selbst und den Lesern über diese hochkomplexen Fragen Auskunft zu geben.
Als unsichtbaren Paten dieser externwissenschaftlichen Reflexionen habe ich auch einen gebürtiger Lemberger, den Mediziner und Philosophen Ludwik Fleck (1896-1961) eingeladen, der heute als einer der entscheidenden Begründer der Wissenschaftssoziologie gilt. Manchen gilt er aber auch als einer der Vordenker und Inspirateure des Wissenschaftskollegs.
Wäre daher gegen Ende des Kolloquiums und unseres Fellow-Jahres nicht eine gute Gelegenheit für uns, darüber nachzudenken, was wir hier tun und wie hier Erkenntnis zustande kommt?