José Emilio Burucúa, Ph.D.
Professor für Kulturgeschichte
Universidad Nacional de San Martín, Argentinien
Born in 1946 in Buenos Aires
Studied Art History at the Universidad de Buenos Aires
Arbeitsvorhaben
Historische und ästhetische Darstellung von Massakern und ihre Bedeutung
My project proposes to finish an on-going piece of long-term research, carried out with my colleague Nicolás Kwiatkowski, regarding the representation of massacres in history. Examples from Classical Antiquity, Early Modern Europe and the Late Modern World have been surveyed. The inquiry has enabled us to identify, so far, three main recurring formulae used to represent massacres:1) A cynegetic representational form, invented in Ancient Greece, that has been used sometimes to portray the behaviour and character of the victims and some other times those of the perpetrators.
2) The formula of collective martyrdom appeared during the Middle Ages in Western Europe, a theme that has been adopted since Early Modern times to narrate real massacres as well.
3) An infernal metaphor that has been mobilized, in some cases to identify victims with demons, in others to describe the experience of the massacre as "infernal". The use of this formula began in the sixteenth century, but it soon became one of the most powerful themes for the representation of mass killings, especially in the nineteenth and twentieth centuries.
The Warburgian notion of Pathosformel has been one of our major theoretical groundings in describing the uses and transformations of the aforementioned formulae. From the times of the Shoah and other contemporary genocides, it is also evident that these potential Pathosformeln reached their limits and were deemed useless. In this respect, we found that depictions of recent massacres and massive killings used the multiplication of silhouettes as a new formal device. Are we consequently midwifing the birth of a new Pathosformel that will increase our understanding and capacity to represent the overwhelming traumas implied by the massacres of our age? If that is the case, better knowledge of the facts could be a keystone for the attainment of the yearned Nunca más.
Recommended Reading
Burucúa, José Emilio. Historia, arte, cultura: de Aby Warburg a Carlo Ginzburg. Buenos Aires: Fondo de Cultura Económica, 2003.
- "Occurrences and Eclipses of the Myth of Ulysses in Latin American Culture." In Written Culture in a Colonial Context: Africa and the Americas 1500-1900, edited by Adrien Delmas and Nigel Penn, 326-356. Cape Town: UCT Press, 2011.
- "Der Begriff der Alterität und die Darstellung des Odysseus in der Renaissance." In Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation, edited by Hannah Baader and Gerhard Wolf, 329-355. Zurich et al.: Diaphanes, 2010.
Kolloquium, 05.03.2013
"Wie es zu diesen Dingen kam": Die Darstellung von Massakern und Völkermord
Es geschieht heute mit überwältigender Häufigkeit, dass der Kern dessen, was wir für unsere Menschlichkeit halten, durch Massaker verletzt wird - die katastrophale Ermordung vieler Menschen oder ganzer menschlichen Gemeinschaften. Nachdem solche Ereignisse stattgefunden haben - sie gehen zurück bis zum Mord an den Athenern in Aigina, von dem Herodot berichtet, und reichen bis zum gegenwärtig noch andauernden Genozid in Darfur -, werden Versuche unternommen, diese Morde zu rechtfertigen, zu verdammen, zu erklären, zu erzählen oder darzustellen.
In der Antike waren Massaker keinesfalls unbekannt - etwa die Zerstörung von Melos durch die Athener im Jahr 416 v. Chr., von der Thukydides erzählt, oder die Morde des zweiten Triumvirats 43 v. Chr., von denen Appian berichtet, und die Morde an den Einwohnern Alexandrias durch Caracalla im Jahr 215. Diese Ereignisse haben mit modernen Massakern bestimmte Dinge gemeinsam: der Staatsapparat hat bei diesen Morden eine Rolle gespielt, das Geschehen wird als entsetzlich böse beurteilt, die Metapher der Hundejagd wird verwendet (Appian beschreibt die Mörder als "Jagdhunde"), die Opfer werden mit einer List in den Tod geführt, Zeugen oder belastendes Beweismaterial werden vernichtet, die Morde sind so grauenhaft, dass man Sprache und andere Darstellungsmittel für unangemessen hält, um die Gräueltaten dazustellen (auch wenn man nie aufgehört hat, dies zu versuchen).
Es gibt jedoch auch radikale Unterschiede zwischen den Massakern der Antike und denen der Moderne: Die griechischen und römischen Massaker waren kurzfristige Ausbrüche, die maximal ein paar Tage dauerten und nicht auf technischer Überlegenheit beruhten. Vor allem scheint es keinen Hinweis darauf zu geben, dass die Opfer zu einem vollkommenen und minderwertigen "Anderen" erklärt wurden, indem man ihnen man ihnen ihre Menschlichkeit absprach oder sie zu Tieren degradierte. Während des Mittelalters wurden diejenigen Massaker am häufigsten dargestellt, bei denen es um einen kollektiven Märtyrertod ging, etwa die Zehntausend Märtyrer auf dem Berg Ararat und der Kindsmord von Bethlehem. Seit dem 14. Jahrhundert wurde letzterer zur Darstellungsform von Verzweiflung par excellence. Das Thema des kollektiven Märtyrertods wurde in der Frühmoderne auch als Erzählform für reale Massaker herangezogen. Und seit dem 16. Jahrhundert wurde die Hölle eine zusätzliche Quelle für Darstellungen derartig extremer Ereignisse.
Die Gemetzel des 20. Jahrhunderts beeinflussen die Art und Weise, in der wir die Massaker in der Vergangenheit wahrnehmen. Der Mord an den Armeniern, die Shoah und die Morde in Kambodscha waren Vorkommnisse von einer solchen Ungeheuerlichkeit, dass sie immer noch unsere Sichtweise auf andere Massaker und deren Darstellungen bestimmen. Eine wichtige Folge der Gräueltaten, die in Armenien und Europa während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden, war die Entstehung eines neuen Straftatbestands im internationalen Recht - des Völkermords; das ist auch das Verdienst des polnischen Juristen Raphael Lemkin, der sich ab 1944 für die Einführung dieses Begriffs einsetzte. All diese Ereignisse stellen frühere Darstellungsmechanismen in Frage. Die Begrifflichkeiten der Jagd, des Märtyrertods und der Hölle wurden immer noch verwendet, aber sie waren nicht dazu geeignet, die wahren Dimensionen zeitgenössischer Massaker und Völkermorde zu vermitteln.
Tatsächlich gab und gibt es Experimente mit anderen ästhetischen Möglichkeiten, insbesondere durch die Verwendung von Umrissen oder Silhouetten. In Argentinien waren Silhouetten eines der wichtigsten Symbole für die Desaparecidos [die Verschwundenen]; dies begann mit einer riesigen Demonstration, die als El Siluetazo bekannt wurde und die am 21. September 1983 während der letzten Monate der Militärdiktatur stattfand. Geht man in das Jahr 1920 zurück, kommt man zu Max Ernst, der das Thema der Unschuldigen in einer Collage darstellte; hier werden die Opfer als leere Umrisse in Bewegung gesetzt, während sich ein mechanisches Insekt auf einen dieser Unglücklichen stürzt. Die Handlung findet in einer merkwürdigen Szenerie statt, die fast etwas Albtraumhaftes hat und sich aus Treppen, Leitern, Schienen, architektonischen Fassaden und Luftansichten von Industriekulissen zusammensetzt. In diesem Bild findet Ernst eine neue Präsentationsweise des Themas, wobei die Hauptelemente der Komposition in der Leere und in der geisterhaften Präsenz der getöteten Opfer bestehen. Wahrscheinlich spielt dieses Bild auf das Blutbad des Ersten Weltkriegs an. Aber es gibt auch weitere Beispiele zur Verwendung der Silhouette in Darstellungen jüngerer Völkermorde. Die Fotografien von Leichen, die Gilles Peress während des Völkermordes in Ruanda machte, greifen auch auf diese Technik zurück. Ein weiteres Beispiel findet man im Tuol-Sleng-Genozid-Museum in Phnom Penh, Kambodscha.
Eines der fruchtbarsten Ergebnisse meines Forschungsaufenthalts in Berlin und Deutschland im Allgemeinen liegt in der Entdeckung, dass diese Formel der Vervielfachung von Silhouetten häufig in Shoah-Gedenkstätten verwendet wird. Jedoch ist mir bald klar geworden, dass zu diesem Zweck in Berlin nicht nur Silhouetten im strengen Sinne des Begriffs eingesetzt worden sind; vielmehr sehe ich mich einer Vielfalt gegenüber - Silhouetten sowie Masken, Repliken und Geister, die man als Formen von Doppelgängern verstehen kann. Aus diesem Grund habe ich mich an diesem Punkt meiner Forschung dazu entschieden, diese neue Formel in der Darstellung von zeitgenössischen Massakern und Genoziden als "Vervielfachung von Doppelgängern" zu bezeichnen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
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¿Civilización o civilizaciones? : choques y trabajos en común de la humanidad
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Cartas berlinesas ; 2 ; Soledad imaginaria y libertad de pensamiento : con un interregno por Letonia, Estonia, Rusia y Hungría Cartas berlinesas ; 2
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Cartas berlinesas ; 1 ; Desasosiego y descubrimniento Cartas berlinesas ; 1
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Cartas berlinesas Biografías y testimonios
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"Cómo sucedieron estas cosas" : representar masacres y genocidios Connocimiento ; 3087
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