Alessandra Russo, Ph.D.
Professorin der Kunstgeschichte
Columbia University, New York
Born in 1972 in Forlì, Italy
Studied Historical Anthropology and Art History at the École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris
Arbeitsvorhaben
Eine neue Antike: Kunstliteratur und die iberische Expansion, 1400-1600
At the Wissenschaftkolleg I will work on a new book project tentatively entitled A New Antiquity. Literatures of Art and Iberian Expansion (1400-1600). During the Iberian expansion in America, Africa, Asia and Europe, between the 15th and 17th centuries, the discourses on the aesthetic sphere faced a double movement: they become more and more shaped in terms of Ancient and Renaissance categories (such as Proportion, Imitation, Antiquity, Idolatry, etc.), and yet profoundly renewed after the encounter with new ways of theorizing about the artistic practices. We can trace this double movement in the numerous texts written by missionaries, conquistadors, and functionaries of the Iberian crowns of Portugal and Spain, but also by a variety of other authors, such as traders, soldiers, naturalists, or missionaries from other countries who traveled to these parts of the world, and even by artists, ambassadors, and collectors who wrote thoughtful testimonies in their diaries, treaties, or inventories. Based on a substantial corpus of sources, I will study the origin and transformation of these multiple aesthetic discourses and categories in Early Modernity as an unpredictable result of the expansion projects of Portugal and Spain. The broader challenge of this book project is to construct and analyze this corpus as a new Kunstliteratur, remained completely outside the Schlosserian canon and yet in lively dialogue with it.Recommended Reading
Russo, Alessandra. "Cortés's Objects and the Idea of New Spain: Inventories as Spatial Narratives." Journal of the History of Collections 23, 2 (2011): 229-252.
-. "Figuras, Mosaicos y Queros ... otras 'artes de la pintura' en los reinos." Pintura de los Reinos. Identidades Compartidas. Territorios del Mundo hispánico, siglos XVI-XVIII, edited by Juana Gutiérrez, 775-819. Fomento Cultural BANAMEX, 2009, vol. III (English and Portuguese editions).
-. El realismo circular: Tierras, espacios y paisajes de la cartografía novohispana. Siglos XVI-XVII. Mexico: IIE- UNAM, 2005.
Kolloquium, 28.05.2013
Territorien der Renaissance: Kunsttheorie und geopolitische Veränderungen
In der Mitte des 16. Jahrhunderts, genauer gesagt zwischen 1548 und 1568, wurden drei wichtige Abhandlungen über Kunst geschrieben, deren zentrale Erzählung sich mit der "Renaissance" bzw. Wiedergeburt (rinascita) der Künste befasst - nachdem diese nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches dem Vergessen anheimgefallen waren.
Um 1546 verfasste der portugiesische Künstler Francisco de Holanda den Text "Da Pintura Antiga" (Über antike Malerei) in seiner Muttersprache und widmete ihn Joao III., dem König Portugals und Herrscher über die riesigen portugiesischen Besitzungen in Amerika, in Afrika und Asien. 1550 veröffentlichte der italienische Maler und Architekt Giorgio Vasari "Le Vite dei più eccellenti architetti, pittori e scultori italiani" (Lebensbeschreibungen der berühmtesten Architekten, Maler und Bildhauer Italiens); der Text war auf Toskanisch geschrieben und Herzog Cosimo I. de Medici gewidmet. Eine zweite Ausgabe von "Le Vite" sollte 1568 gedruckt werden, diesmal war der Text Cosimo als dem Herzog von Florenz und Siena (das er gerade erst besiegt hatte) gewidmet. Und zwischen 1560 und 1563 schloss der Sammler und Humanist Felipe de Guevara seine "Comentarios de la Pintura" (Kommentare zur Malerei) auf Spanisch ab; er widmete sie dem jungen Philip II., der gerade zum König erhoben worden war und bald zum katholischen Herrscher über die "vier Weltteile" ernannt werden sollte.
Die vergleichende Analyse dieser drei Abhandlungen zeigt uns, was Holanda, Vasari und Guevara als Territorien der künstlerischen Wiedergeburt, als Territorien der Renaissance wahrnahmen. Obwohl der Begriff "Renaissance" eher zeitlich denn räumlich verankert ist, betonen alle drei Autoren die geografische Dimension - oder genauer gesagt, die geopolitische Dimension -, die den locus oder vielmehr die loci der künstlerischen Wiedergeburt in den Kontext der damaligen politischen Interessen von Joao III., Cosimo I. de Medici und Philip II. stellt. Doch bei Guevara und Holanda dienen die künstlerischen Abhandlungen als Gelegenheit, in eine kritische Beziehung zu der politischen Agenda des entsprechenden Herrschers zu treten. Dadurch wird noch ein weiterer locus geschaffen, nämlich das Territorium der Kunst, das der Monarch oder Gouverneur nicht vollständig erobern kann, sondern das er weiter begehren muss. Dieses Territorium der Kunst könnte die Gewalt der Eroberung vielleicht begrenzen. Die Seiten von "Da Pintura Antiga" und von "Comentarios de la Pintura" sind mit mehreren kritischen Bemerkungen zu den Expansionsvorhaben der Krone von Portugal und von Spanien und zu den großartigen Kunstwerken gewürzt, die man überall auf der Welt finden kann und die es vor der Zerstörung durch die Eroberung zu retten gilt - eben weil sie der unerwartete Ursprung für die künstlerische Renaissance Portugals und Spaniens sein können.
Wenn wir diese drei Texte gleichzeitig lesen, können wir im 16. Jahrhundert zwei konkurrierende Arten der Moderne feststellen: eine protonationale Kunstgeschichtsschreibung, die auf der Idee von der hervorragenden Kunst eines "Landes" beruht, und zu gleicher Zeit einen Diskurs über die Notwendigkeit, dass jeder Monarch oder Gouverneur ausländische Kunstobjekte sammelt und schützt und ebenso Künstler schützt und fördert. Anhand dieser Texte können wir auch der Bildung eines Kanons in der Kunstgeschichte nachgehen und diesen befragen. Während Vasaris Kunstgeschichte eine hegemoniale Stellung einnimmt, werden die Abhandlungen von Holanda und Guevara für Jahrhunderte vergessen. Warum?
Jenseits der Fallstudien, die ich in diesem Kolloquium präsentiere, soll mein Vortrag auch eine tiefere methodische und eine breitere politische Reflexion anstoßen. Die globale Dimension, die in diesen Abhandlungen nachhallt, drängt uns dazu, Europa neu zu denken und uns mit einer aktuellen Frage zu befassen: dabei geht es weniger um das Problem eines monolithischen "Eurozentrismus" als vielmehr um die langanhaltende Ausprägung mehrerer und zunehmend polarisierter "Europas".
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Russo, Alessandra (Chicago, Ill., 2014)
Russo, Alessandra (New Haven [u.a.], 2014)
De Tlacuilolli : Renaissance artistic theory in the wake of the global turn
Russo, Alessandra (2011)
Russo, Alessandra (2011)
Cortés’s objects and the idea of New Spain : inventories as spatial narratives
Russo, Alessandra (México, D.F., 2011)
Images take flight ; 24 de marzo - 19 de junio 2011, Museo Nacional de Arte Images take flight
Russo, Alessandra (2008)
Figuras, mosaicos y queros : otras "artes de la pintura" en los reinos
Russo, Alessandra (2008)
Le Codex Borbonicus, corps-document : anatomie du visuel
Russo, Alessandra (Arles [u.a.], 2008)
Russo, Alessandra (2006)
A tale of two bodies : on aesthetic condensation in the Mexican colonial graffiti of Actopan, 1629
Russo, Alessandra (México, D.F., 2005)
El realismo circular : tierras, espacios y paisajes de la cartografía indígena novohispana siglos XVI y XVII Estudios y fuentes del arte en México ; 76