Michael Squire, Ph.D.
Klassische Altertumswissenschaft
King's College London
Geboren 1980 in Aylesbury, Großbritannien
Studium der Klassischen Altertumswissenschaft am Trinity College, Cambridge, und der Komparatistik an der Harvard University
Arbeitsvorhaben
Sicht und Unsichtbarkeit in den Eikones Philostrats des Älteren
Die Bilder Philostrats des Älteren sind ein griechischer Text aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., der sich mit dem grundlegenden Problem der Kunstgeschichte befasst: Wie kann man visuelle Bilder in verbalen Diskurs übersetzen und umgekehrt? Philostrat benutzt eine (vorgebliche) Galerie an der Küste Neapels, um die Mittel zu erforschen, mit denen wir Bedeutung in dem finden, was wir sehen. Die resultierende Abhandlung hat unmittelbare Bedeutung für den künstlerischen, kulturellen und intellektuellen Horizont der Spätantike (und auch der griechisch-römischen Archäologie davor). Aber sie besitzt auch unbedingte Relevanz für die Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin, denn Philostrat deckt die spielerischen Zwischenräume auf, die immer und notwendigerweise die Sphären des Visuellen und des Verbalen verbinden.Ich möchte das Jahr am Wissenschaftskolleg zu Berlin dazu nutzen, eine thematische Monographie zu Philostrats Bilder zu schreiben, wobei ich ihre Bedeutung nicht nur für Klassische Philologen und Archäologen, sondern auch für alle diejenigen erkläre, die sich mit der Bildwissenschaft überhaupt beschäftigen. Mein Ziel ist es zu zeigen, wie Philostrats Unternehmen, Bilder in Worten heraufzubeschwören, einer überlegten Intervention innerhalb spätantiker Diskurse über Ikonizität, Form und Repräsentation gleichkommt - Debatten, die, wie die Bilder selbst, sowohl verbal wie visuell vermittelt wurden und die eine intellektuelle Bedeutung besitzen, welche weit jenseits ihres ursprünglichen kulturhistorischen Kontextes liegt. Das Buch wird einerseits historisch ausgerichtet sein: Es wird den Text innerhalb älterer Diskussionen um Bilder, Worte und dem Verhältnis zwischen den beiden verorten, wobei Philostrats beschriebene Malereien vor dem Hintergrund des Übergangs von mimetischen und naturalistischen Darstellungsformen zu den sehr stilisierten visuellen Ausdrucksweisen der späteren römischen Kaiserzeit gelesen werden. Andererseits wird die Monographie die Frage stellen, wie dieses Werk aus dem 3. Jahrhundert weitaus aktuellere Diskussionen um die Interaktionen zwischen Bild und Text bereichern könnte.
Das Buch wird genaue literarische und kunsthistorische Lesarten des Textes mit einer ausgewogenen Reflexion der Kunstgeschichte und ihrer Geschichte als Disziplin kombinieren. Dabei ist es meine Absicht, neue intellektuelle Brücken nicht nur zwischen den (allzu oft abgegrenzten) Fächern "Klassische Philologie" und "Klassische Archäologie", sondern auch zwischen den Klassischen Altertumswissenschaften und der Kunstgeschichte im Allgemeinen zu schlagen.
Lektüreempfehlung
Squire, Michael. The Iliad in a Nutshell: Visualizing Epic on the Tabulae Iliacae. Oxford: Oxford University Press, 2011.
- The Art of the Body: Antiquity and its Legacy. Oxford: Oxford University Press, 2011.
- Image and Text in Graeco-Roman Antiquity. Cambridge: Cambridge University Press, 2009.
Kolloquium, 21.05.2013
POP goes the picture!
Sed quemadmodum si litteras pulchras alicubi inspiceremus, non nobis sufficeret laudare scriptoris articulum, quoniam eas pariles, aequales decorasque fecit, nisi etiam legeremus quid nobis per illas indicauerit: ita factum hoc qui tantum inspicit, delectatur pulchritudine facti ut admiretur artificem; qui autem intellegit, quasi legit. Aliter enim uidetur pictura, aliter uidentur litterae. Picturam cum uideris, hoc est totum, uidisse, laudasse: litteras cum uideris, non hoc est totum, quoniam commoneris et legere.
Aber wenn wir irgendwo schön geschriebene Buchstaben sehen, würde es uns nicht genügen, die Handschrift des Schreibenden zu loben - dass er sie gleichmäßig, symmetrisch und elegant gemacht hat -, wenn wir nicht auch das lesen würden, was er durch sie an uns vermittelt hat. Auf die gleiche Weise könnte derjenige, der diese Tat [die wunderbare Brotvermehrung] betrachtet, von der Schönheit der Tat so erfreut sein, dass er die Person bewundert, die sie ausgeführt hat. Doch derjenige, der sie versteht, liest sie gewissermaßen. Denn ein Bild schaut man auf die eine Weise an, Buchstaben jedoch auf eine andere. Wenn du ein Bild gesehen hast, ist alles vollständig: gesehen zu haben heißt, gelobt zu haben. Wenn du die Buchstaben gesehen hast, ist das nicht vollständig: denn du wirst auch aufgefordert zu lesen. (Augustinus, Traktate zum Johannesevangelium, XXIV, Kap. 2)
Was bedeutet es, ein Bild zu erfahren - und im Unterschied dazu, einen Text? Inwiefern gleicht "Lesen" dem "Sehen" bzw. unterscheiden sich die beiden voneinander? Und wo liegen die (medialen / ideologischen / kulturellen / theologischen / kognitiven / phänomenologischen) Grenzen zwischen den visuellen und verbalen Reaktionsweisen?
Glücklicherweise versuche ich in meinem Kolloquium nicht, alle diese Fragen zu beantworten (nachdem sich Lessing 1766 in seinem Laokoon. Oder: Über die Grenzen der Malerei und Poesie bereits sehr aufgeklärt damit befasst hat). Wenn ich auf solche Fragestellungen zurückkomme, verfolge ich ein eher geschichtswissenschaftliches Ziel, wenn auch mit geschichtsübergreifenden Aspirationen: einerseits möchte ich zeigen, wie sehr solche Fragen die antiken griechisch-römischen Denker intellektuell umtrieben, insbesondere im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. (die Periode, die man oft abfällig als "Spätantike" bezeichnet); andererseits möchte ich dieses Denken mit den größeren methodischen Anforderungen verknüpfen, die (u. a.) derzeit von der Kunstgeschichte und den vergleichenden Literaturwissenschaften bewältigt werden müssen.
Der Vortrag selbst gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil geht es um das Problem, wie man die Beziehungen zwischen Bild und Wort begrifflich fasst; dabei untersuche ich einige der verschiedenen theoretischen und disziplinübergreifenden Grundpfeiler. Dies führt uns zu einer kurzen Vorstellung meines eigentlichen Projekts am Wissenschaftskolleg: eine Monographie über die Eikones des Philostratos (der Text ist bekannter unter seinem lateinischen Titel Imagines - der sich gleichzeitig auf reale und metaphorische "Bilder" bezieht). Der Text des Philostratos wurde im frühen dritten Jahrhundert n. Chr. von einem meisterhaften Rhetoriker auf Griechisch verfasst. Er evoziert eine Galerie von etwa 65 Bildern und gibt sich als rhetorische Übung, die an einen Knaben und eine Gruppe von Jünglingen gerichtet ist. Indem für die Bilder gesprochen wird, inszenieren die Imagines für sie (und damit auch für uns Leserinnen und Leser) die grundlegende Problematik jeder Bildbeschreibung. Durch den Rückgriff auf einen griechischen Kunst- und Literaturkanon und auf zeitgenössische Theorien der rhetorischen Visualisierung kitzelt Philostratos die zusammenwirkenden und konkurrierenden Strategien von Wörtern und Bildern heraus - aber immer auf eine selbstreflektierende Weise und mit einem rhetorischen Funkeln in den Augen.
Das bereitet den Hintergrund für meinen zweiten Teil, in dem es um ein zweites "spätantikes" Werk geht. Die Eikones mögen nicht allen ein Begriff sein, aber einige Fellows teilen meine Faszination für Philostratos' Text. Damit wir alle die gleiche Basis haben und genauer über den historischen Kontext nachdenken können, führe ich einen lateinischen Autor aus dem 4. Jahrhundert ein, der selbst den gelehrtesten Altphilologen fast unbekannt sein dürfte (hoffe ich): Publilius Optatianus Porphyrius. Trotz ihrer unterschiedlichen Kontexte, Aufgaben und Gattungsrahmen zeigen Optatianus’ etwa 31 Gedichte bemerkenswerte Affinitäten zu Philostratos’ Text und stellen Gedichte als Bilder und Bilder als Gedichte dar (in wörtlicher Übereinstimmung mit dem berühmten Diktum des Horaz: ut pictura poesis "Wie das Bild, so die Dichtung"). Ungeliebt und übersehen befragt dieses albern verspielte Textkorpus die Schnittstelle zwischen echtem und literarischem "Sehen": Auf eine einzigartige Weise inszenieren die "Kalligramme" des POP avant la lettre durchaus vergleichbare hermeneutische Spannungen zwischen Sehen und Lesen.
Ich schließe, wie ich beginne: mit einer Reihe von Fragen. Wie lässt sich ein solches visuell-verbales Spiel auf die breiteren kulturellen Parameter der "Spätantike" beziehen? Warum werden diese Fragen zu dieser Zeit ein so dringliches intellektuelles (und wiederum theologisches) Anliegen? Und welchen Beitrag (wenn überhaupt) könnten meine Fallstudien zu breiteren fachlichen - und interdisziplinären - Ansätzen für das Verständnis von Kunst und Literatur leisten - über eine sehr viel größere raumzeitliche Spanne hinweg?
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Squire, Michael (Berlin, Boston, 2018)
Squire, Michael (Berlin, 2018)
Ornament and figure in Graeco-Roman art : rethinking visual ontologies in classical antiquity
Squire, Michael (New York, NY, 2017)
POP art : the optical poetics of Publilius Optatianus Porfyrius
Squire, Michael (Edinburgh, 2016)
Homer and the Ekphrasists : text and picture in the Elder Philostratus' 'Scamander' (Imagines I.I)
Squire, Michael (Napoli, 2015)
Squire, Michael (London, 2015)
Squire, Michael (2015)
Squire, Michael (2014)
Der Körper des Princeps : zur Problematik eines monarchischen Körpers ohne Monarchie
Squire, Michael (2014)
Counterfeit in character but persuasive in appearance : reviewing the ainigma of the Tabula Cebetis
Squire, Michael (Cambridge, 2013)
[Rezension von: Prettejohn, E., The modernity of ancient sculpture]