Martin Sack, Dr. med.
Professor der Medizin, Facharzt für Psychosomatische Medizin
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Technische Universität München
Geboren 1961 in Stuttgart, Deutschland
Studium der Humanmedizin an der Universität des Saarlandes und an der Freien Universität Berlin
Arbeitsvorhaben
Individualisierte Psychotherapie
Während die Psychotherapie in der Ausbildung immer noch stark an Therapieschulen orientiert ist, richten erfahrene Therapeuten die Behandlungsplanung an den individuellen Bedürfnissen ihrer Patienten aus. Es fehlt allerdings eine systematische Ausarbeitung einer auf die Förderung von individuellen Behandlungsbedürfnissen ausgerichteten Psychotherapie mit konkreten Handlungsanweisungen.Das Projekt "Individualisierte Psychotherapie" widmet sich der Erarbeitung einer Systematik und Methodik zur Identifizierung individueller Behandlungsbedürfnisse und deren Umsetzung in der psychotherapeutischen Behandlung. Dabei wird der in der Psychotherapie unvermeidbare Umgang mit kausaler Unschärfe bzw. multikausaler Bedingtheit psychischer Erkrankungen als methodische Stärke interpretiert und eine gestufte diagnostische und therapeutische Vorgehensweise als heuristisches Modell genutzt.
Hierfür werden, ausgehend von einem an Stressoren orientierten ätiologischen Modell psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, primäre (stressauslösende) und sekundäre (als Folge der Stressbelastung entstandene) Störungen unterschieden. Behandlungsbedürfnisse werden nach der jeweils vorliegenden inneren Not bzw. nach individuellen Entwicklungsbedürfnissen unter besonderer Berücksichtigung der Behandlung von Bindungs- und Beziehungsstörungen sowie von Störungen der Selbstregulation systematisiert. Es wird eine Methode zur Hierarchisierung von Therapiezielen und zum Umgang mit therapieinduzierter Destabilisierung (Regression, therapeutische Krisen) ausgearbeitet. Die gegenwärtig verfügbaren Therapieverfahren und Therapiemethoden werden hinsichtlich der therapeutischen Zielsetzung und ihrer Wirkfaktoren klassifiziert und in ein integratives Therapiemodell integriert.
Die Reichweite des Ansatzes soll unter Bezug auf die publizierte Literatur, insbesondere aus der humanistischen und anthropologischen Psychotherapie, bestimmt werden. Ziel des Vorhabens ist es, eine bisher implizit von erfahrenen Psychotherapeuten ausgeübte Praxis zu reflektieren, als Methode auszuarbeiten und in Folge auch in der Ausbildung vermittelbar zu machen.
Lektüreempfehlung
Sack, Martin, Julia Schellong und Ulrich Sachsse. Komplexe Traumafolgestörungen: Diagnostik und Behandlung von Folgen schwerer Gewalt. Stuttgart: Schattauer, 2013.
Sack, Martin. Schonende Traumatherapie: Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen. Stuttgart: Schattauer, 2010.
-. Von der Neuropathologie zur Phänomenologie - Alfred Prinz Auersperg und die Geschichte der Heidelberger Schule der anthropologischen Medizin. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2005.
Kolloquium, 13.01.2015
Individualisierte Psychotherapie
Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit.
(Theodor W. Adorno, "Negative Dialektik", Suhrkamp, 1966, S. 22)
Psychotherapeutische Behandlungen werden heute - entsprechend evidenzbasierten Leitlinien - bevorzugt an störungsspezifischen Behandlungskonzepten ausgerichtet. Hierbei wird oft nicht ausreichend berücksichtigt, dass die gleiche Symptomatik ganz unterschiedliche Ursachen haben kann und dass über eine Reduktion der Symptomatik hinausgehende Bedürfnisse bestehen können, beispielsweise bezüglich einer Förderung der Persönlichkeitsentwicklung oder der Bearbeitung belastender Kindheitserfahrungen. Erfahrene Psychotherapeuten beziehen bei der Therapieplanung daher die individuelle Problematik ihrer Patienten ein. Erstaunlicherweise fehlt eine, die verschiedenen Therapieschulen übergreifende, systematisch ausgearbeitete Methode zur Identifizierung individueller Behandlungsziele und deren Umsetzung in der Therapie.
Zur Planung einer Psychotherapie sollten symptomatische Behandlungsbedürfnisse (z.B. notwendige Gewichtszunahme bei Anorexia nervosa), aktuelle und vergangene traumatische oder konflikthafte Belastungen (z.B. Streit und Gewalt in der Familie) und offene Entwicklungsbedürfnisse (z.B. Erleben von Kompetenz und Handlungsfähigkeit) berücksichtigt werden. Eine erfolgreiche Behandlung erfordert darüber hinaus, sich seinen eigenen Bedürfnissen und der eigenen Not zu öffnen und die Bereitschaft, zu lernen mit sich selbst fürsorglich umzugehen, was nicht immer selbstverständlich gegeben ist. Die Wahl der geeigneten psychotherapeutischen Behandlungsmethode sollte den individuellen Behandlungszielen und der Persönlichkeit des Patienten flexibel angepasst werden.
Jede Erkrankung hat eine existentielle Dimension, die als 'Leiden' beschrieben werden kann. Die Symptomatik drückt das Leiden oft ganz konkret aus, beispielsweise als Schmerz, als Funktionsausfall oder als depressive Gestimmtheit. Verborgenes Leid bedarf mitunter der geduldigen Zuwendung und einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung, damit es überhaupt mitgeteilt werden kann. Interpretationen über Sinn und Zweck von Leidenszuständen sind in der Regel wenig hilfreich. Individuelle Therapieziele können aus einer genauen Beschreibung des Leidens sowie der im Alltag auftretenden Problematik abgeleitet werden, so dass die Ziele zu einer 'Antwort' auf die aktuelle psychische Not werden. Erst wenn der Patient sich in seinem Leiden erkannt und wahrgenommen fühlt, wird eine vertiefte Selbstexploration sowie nachhaltige psychische Entwicklung möglich.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Sack, Martin (Stuttgart, 2019)
Individualisierte Psychotherapie : ein methodenübergreifendes Behandlungskonzept
Sack, Martin (Stuttgart, 2013)
Sack, Martin (Stuttgart, 2011)
Sack, Martin (Würzburg, 2005)
Von der Neuropathologie zur Phänomenologie : Alfred Prinz Auersperg und die Geschichte der Heidelberger Schule Beiträge zur medizinischen Anthropologie ; Bd. 4