Matthias Egeler, PD Dr.
Skandinavistik und Religionswissenschaft
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geboren 1980 in Rosenheim, Deutschland
Studium der Religionswissenschaft, Keltologie und Skandinavistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Oxford
Arbeitsvorhaben
Island: Porträt einer Sakrallandschaft
Das Projekt befasst sich mit der Sakralisierung und Mythologisierung der isländischen Landschaft in der isländischen Literatur des Mittelalters, ca. 900-1450. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, wie Vorstellungen unterschiedlicher religiöser Systeme und mit unterschiedlicher ethnischer Verwurzelung im Medium Landschaft zueinander in Beziehung gesetzt werden und gemeinsam einen Beitrag zur Humanisierung des Raums und zur Identitätsbildung im mittelalterlichen Island leisten.In den erhaltenen Texten der altisländischen Literatur spielt die Sakralisierung der lokalen Landschaft eine prominente Rolle; insbesondere im sog. Buch der Landnahmen, einer mittelalterlichen Geschichte der ersten Besiedlung der Insel während der Wikingerzeit, liegt ein zentraler Fokus auf einer Einschreibung religiöser und mythologischer Bedeutung in isländische Landschaften und Orte. Die "religiöse Bedeutung", die uns hier entgegentritt, ist dabei bald heidnisch und bald christlich geprägt und wird unter Rückgriff auf nicht nur skandinavische, sondern auch gälische Motive Irlands und Schottlands zum Ausdruck gebracht. Eine Annäherung an die isländische Religionsgeschichte über die narrative Semantisierung des isländischen Raums zwingt damit in exemplarischer Weise zu einem holistischen Zugang zur isländischen Kulturgeschichte: Anstatt der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Kirchengeschichte einerseits und der Forschung zur vorchristlichen Religionsgeschichte andererseits zu folgen, wird das frühe Island als ein multireligiöser und multiethnischer Schmelztiegel gewürdigt, in dem eine scharfe Trennung zwischen christlicher und heidnischer Geisteswelt ebenso wie zwischen germanischem und keltischem Erbe oftmals kaum möglich ist. Damit leistet das Projekt einen Beitrag nicht nur zur europäischen Religionsgeschichte (einschließlich der Kirchengeschichte), sondern trägt zugleich auch zu einer Korrektur weitverbreiteter Fehlvorstellungen von Island als einem archaischen Bewahrer einer vermeintlich ursprünglichen germanischen Kultur bei, wie sie insbesondere in der Zeit des Dritten Reichs propagiert wurden, aber in der Populärkultur bis heute weithin fortleben.
Lektüreempfehlung
Egeler, Matthias. Avalon, 66° Nord: Zu Frühgeschichte und Rezeption eines Mythos. Berlin, Boston: de Gruyter, 2015 (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 95).
-. "Reading Sacred Places: Geocriticism, the Icelandic Book of Settlements, and the History of Religions." Philology 1 (2015): 67?90.
-. Celtic Influences in Germanic Religion: A Survey. München: Utz, 2013 (= Münchner Nordistische Studien 15).
Kolloquium, 26.09.2017
Die isländische Erzählkultur und die Ungreifbarkeit einer sakralen Landschaft
Die klassischen wie auch die neueren Arbeiten im Bereich der Landschaftstheorie neigen dazu, "Landschaft" als eine Leinwand zu konzeptualisieren, der mithilfe des "kulturellen Gedächtnisses" Bedeutung eingeschrieben wird. Wenn eine Landschaft also mit Bedeutung in Form von Erinnerungen aufgeladen wird, kann sie als Medium dienen, das dazu beiträgt, kulturspezifische Weltbilder zu naturalisieren und damit Orientierung zu schaffen. Dies trifft z. B. auf "säkulare" Erinnerungslandschaften zu: So können etwa Denkmäler zentrale politische Ereignisse vergegenwärtigen und damit bestimmte positive wie negative Geschichtsbilder naturalisieren; diese wiederum vermögen Paradigmen bereitzustellen, die menschliches Verhalten lenken. Ein Triumphbogen macht das kollektive Überlegenheitsgefühl einer Nation über ihre besiegten Feinde visuell gegenwärtig; und Gedenktafeln, die an Kriegsverbrechen erinnern, können für Opfer wie Täter einem Gefühl des "nie wieder" Ausdruck verleihen. Ähnlich lassen religiöse Landschaften Geschichtsbilder und Auffassungen von der Ordnung der Welt als natürlich und "augenfällig" erscheinen: Ein Gipfelkreuz verkündet die lokale Dominanz des Christentums ebenso wie eine monumentale Kathedrale, die weit über die sie umgebenden Gebäude hinaus ragt und die "Natürlichkeit" der Macht der Kirche verkündet.
Die isländische Erzählkultur des Mittelalters setzt dieser klassischen Lesart von "Landschaft" als Trägerin kultureller Paradigmen jedoch beträchtliche Widerstände entgegen. Eine klassische Zugangsweise würde erwarten lassen, dass das isländische Geschichtenerzählen über Orte und Landschaften auch bestimmte Konstruktionen von Landschaften reflektiert; diese Konstruktionen schreiben den Orten des isländischen Alltagslebens mithilfe von Narrativen kulturelle Erinnerungen ein, die ihrerseits Paradigmen dafür bereitstellen, wie dieses Leben zu leben sei. Was man aber anscheinend in vielen Fällen vorfindet, ist ein sehr viel spielerischerer Umgang mit der Landschaft. In meinem Vortrag setze ich mich mit der Ortsnamengeschichte des nordisländischen Flugumýrr, wie sie im "Buch der Landnahmen" (13./14. Jh.) erzählt wird, sowie mit Material aus dem 19. Jahrhundert auseinander. Anhand dessen gehe ich der Frage nach, wie sich uns selbst in Geschichten über das Übernatürliche und über religiöse und mythologische Landschaftselemente die eigentliche Sakralität zu entziehen scheint. So lote ich in meinem Vortrag die Grenzen eines Ansatzes aus, der sich der narrativen Konstruktion der isländischen Landschaft auf eine bestimmte Weise nähern will - nämlich anhand eines Paradigmas, das sich auf "Bedeutung", "Erinnerung" und Orientierungsstiftung konzentriert.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Egeler, Matthias (Baden-Baden, 2022)
Things that place names do : comparative perspectives from West Africa and Iceland
Egeler, Matthias (2019)
Ortsnamen als religionswissenschaftliche Quelle
Egeler, Matthias (München, 2019)
Der Heilige Gral : Geschichte und Legende C.H. Beck Wissen ; 2896
Egeler, Matthias (Turnhout, 2019)
Landscape and myth in North-Western Europe Borders, boundaries, landscapes ; volume 2
Egeler, Matthias (Berlin, 2018)
The narrative uses of toponyms in Harđar saga
Egeler, Matthias (2018)
Egeler, Matthias (Helsinki, 2018)
Atlantic outlooks on being at home : Gaelic place-lore and the construction of a sense of place in medieval Iceland FF communications ; no. 314 = vol. 314
Egeler, Matthias (2017)
Islandic folklore, landscape theory, and levity : the Seyðisfjörður Dwarf-Stone
Egeler, Matthias (Turnhout, 2017)
Islands in the west : classical myth and the medieval Norse and Irish geographical imagination Medieval voyaging ; volume 4