Andreas Maercker, Dr. phil. Dr. med.
Professor für Psychopathologie und Klinische Intervention
Universität Zürich
Geboren 1960 in Halle (Saale), Deutschland
Studium der Medizin an der Universität Halle-Wittenberg und der Medizin und Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
Arbeitsvorhaben
Traumata, posttraumatische Belastungsstörung und kulturelle Skripte
Die Erforschung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) kann auf eine 30-jährige Geschichte zurückblicken. Die international anerkannte Diagnose entstand durch Impulse aus der US-amerikanischen Psychiatrie, um den psychisch kranken "Military Veterans" eine angemessene diagnostische Einordnung zu ermöglichen. Die Diagnose erfuhr eine Ausweitung auf weitere Opfergruppen: Opfer sexualisierter Gewalt, Überlebende von Naturkatastrophen, Folter- und zivile Kriegsopfer und andere. In den Mittelpunkt der psychologischen und psychiatrischen Forschung wurden die posttraumatisch veränderten Gedächtnisprozesse als zentrale pathologische Veränderung gestellt. Neue Therapieverfahren zielten entweder psychologisch oder pharmakologisch auf die Modifikation dieser Gedächtnisveränderungen. Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass zwischenmenschliche und soziale Veränderungen bedeutsamer sind als die Gedächtnisveränderungen (die eine hohe Selbstheilungstendenz aufweisen), beispielsweise wirkt die fehlende Anerkennung als Traumaopfer als wesentliche Chronifizierungsursache für die PTSD. Im Zuge dieses Paradigmenwandels rücken nun die Angehörigen, Gemeinschaften und Gesellschaften in den Fokus und wie sich deren Wahrnehmung und Würdigung traumatischer Erlebnisse auf die Erkrankung bzw. den Genesungsprozess auswirken.Meine Arbeit wird sich neben den genannten Aspekten auf die Veränderung des "Kernmodells der PTSD" durch die Globalisierung und somit den weltweiten Einsatz von Therapeuten bei Flüchtlingen unterschiedlichster Kulturen konzentrieren. Es stellt sich die Frage, ob es die posttraumatischen Gedächtnisveränderungen oder die Erschütterungen der zwischenmenschlichen Einstellungen und der Tragfähigkeit der sozialen und gesellschaftlichen Routinen sind, die den Kern der posttraumatischen Veränderungen bilden. Meine Arbeitsgruppe hat in den beiden letzten Jahren themenbezogen psychologisch-anthropologische Beobachtungen und Untersuchungen in vier Regionen der Welt unternommen bei Bevölkerungsgruppen, welche die vorherrschenden westlichen Trauma-/PTSD-Vorstellungen nicht kennen. Meine Arbeit am Wissenschaftskolleg wird sich der kritischen Zusammenführung dieser Befunde mit den überkommenen "PTSD-Modellen" widmen.
Lektüreempfehlung
Maercker, Andreas. Trauma und Traumafolgestörungen. München: Beck, 2017.
-. Posttraumatische Belastungsstörungen (4. Aufl.). Heidelberg: Springer, 2013.
Maercker, Andreas und Simon Forstmeier, Hg. Der Lebensrückblick in Therapie und Beratung. Heidelberg: Springer, 2013.
Kolloquium, 27.11.2018
Über Modelle und Metaphern: Wie kann man Kontexte und Kultur in die PTSD-Theorie integrieren?
In meinem Vortrag geht es um ein Work in Progress. Nach einer kurzen Einführung in das Gebiet der klinischen Traumaforschung steht im ersten Teil die Entwicklung der psychologischen Modelle der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) im Mittelpunkt, die mit der Entwicklung der bisherigen evidenzbasierten Psychotherapien für diese Störung korrespondieren. Vieles davon ist eine Erfolgsgeschichte der Klinischen Psychologie und Psychiatrie. Andererseits können zahlreiche Gruppen traumatisierter Personen durch diese evidenzbasierten Therapien bisher nicht erreicht werden, und damit fallen sie auch aus den bisherigen Theorieentwicklungen heraus.
In diesem Zusammenhang stelle ich das sozio-interpersonelle Modell der PTSD vor, dass ich in meinem Aufenthalt am Wissenschaftskolleg um kulturelle Komponenten erweitern möchte. Mit der Erstfassung des Modells korrespondierten eine PTSD-Interventionsstudie in China, also in einer Gesellschaft, die bislang stark von kollektivistischen und familialistischen Mentalitäten geprägt ist. Aktuell arbeite ich an zwei Studien mit verschiedenen Methodologien: Eine quantitative internationale Vergleichsstudie zum Ausmaß von "Fatalismus", einer für das Hilfesuchen nach Traumatisierung wichtigen Facette kultureller Grundüberzeugungen. Daneben berichte ich von vier lokalen Studien aus drei Kontinenten, die ethnographische Methoden nutzten, um kulturell geteilte Metaphern zu sammeln, die anstelle oder neben der geläufigen Metapher des "Traumas" (griech. 'Wunde') die subjektiven Erfahrungen Traumatisierter widergeben.
Abschließend werde ich mögliche zukünftige Themen meines weitere Arbeitsprogramm ansprechen. Beispielsweise spielten (überraschenderweise) in die Narrative der letztgenannten Studie "historische Traumata" mit hinein - und damit ein Konzept, mit dem die klinische Psychologie bisher Probleme hat. Allgemein geht es mir darum, erkenntnistheoretisch eine empiriegeleitete Pluralisierung der Modellvorstellungen zu Traumafolgestörungen zu erreichen - und therapiebezogen geht es um eine Flexibilisierung von Therapieansätzen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Maercker, Andreas (Hoboken, NJ, 2020)
Maercker, Andreas (London, 2020)
The numinous experience in the context of psychopathology and traumatic stress studies
Maercker, Andreas (Abington, 2019)
Maercker, Andreas (Lausanne, 2019)
Cultural scripts of traumatic stress : outline, illustrations, and research opportunities
Maercker, Andreas (Boston, MA, 2019)
Cultural clinical psychology and PTSD
Maercker, Andreas (2018)
Maercker, Andreas (2018)
Maercker, Andreas (München, 2017)
Trauma und Traumafolgestörungen C.H. Beck Wissen ; 2863
Maercker, Andreas (Berlin, 2015)
Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie : mit 34 Tabellen