Marietta Auer, Dr. iur., LL.M., S.J.D.
Professorin für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie
Justus-Liebig-Universität Gießen
Geboren 1972 in München, Deutschland
Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Harvard Law School
Arbeitsvorhaben
Rechtsinstitutionen der Digitalen Moderne
Rechtliche Institutionen reagieren mit großer Sensibilität auf die durchgreifenden Veränderungen, die die Gesellschaft und ihre Subsysteme durch die fortschreitende Digitalisierung erfahren. Gegenstand meiner Arbeit ist es, diese tiefgreifenden Begriffsverschiebungen anhand institutioneller Grundbegriffe des gegenwärtigen westlichen Rechtsdenkens fassbar zu machen. Ausgangspunkt sind Konzepte der Freiheit und Autonomie. Zu zeigen ist, dass das für das normativ-individualistische Rechts- und Moralverständnis des westlichen Aufklärungsdenkens wesentliche Autonomiekonzept im Hinblick auf Einwilligungsfragen zunehmend seine Funktion verliert. Probleme in der digitalen Ökonomie zeigen sich namentlich im Rahmen der Konsumenten- und Datenautonomie, die zunehmend zur bloßen Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Konsumalternativen herabsinkt, während die individuelle Wahlentscheidung durch kollektiv-paternalistische Steuerungsprozesse überlagert und in marktlich erwünschte Bahnen gelenkt wird. Eine zweite Phänomenologie rechtlicher Artefakte der digitalen Gesellschaft setzt am Begriff der Person an und befasst sich mit der Entstehung digitaler Personenhybride sowie umgekehrt mit der Dekonstruktion hergebrachter Konzepte von Personalität und Individualität unter den Bedingungen datengetriebener Berechenbarkeit individuellen Verhaltens. Drittens lassen sich Hybridisierungserscheinungen auch an Konzepten der Sache und der Dinglichkeit beobachten. Durch digitale Dinghybride und die Überlagerung physischer Objekte durch geistige Eigentumsrechte gerät die hergebrachte Dingontologie, die in den rechtlichen Kategorien des klassischen Sachenrechts abgebildet ist, an ihre Grenzen. Ziel meiner Arbeit ist es, all diese verwandten Phänomene und die damit verbundenen Probleme in einer übergreifenden Phänomenologie der Rechtsinstitutionen der digitalen Moderne als sozial und rechtlich signifikant zu beschreiben.Lektüreempfehlung
Auer, Marietta. Zum Erkenntnisziel der Rechtstheorie: Philosophische Grundlagen multidisziplinärer Rechtswissenschaft. Baden-Baden: Nomos, 2018.
-. Der privatrechtliche Diskurs der Moderne. Tübingen: Mohr Siebeck, 2014.
-. Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit: Generalklauseln im Spiegel der Antinomien des Privatrechtsdenkens. Tübingen: Mohr Siebeck, 2005.
Kolloquium, 07.01.2020
Autonomie und Digitalisierung
Autonomie ist ein Schlüsselbegriff des modernen liberalen Rechtsdenkens. Der Autonomiebegriff spielt nicht nur in Teilrechtsordnungen etwa als Privatautonomie eine zentrale Rolle, sondern bildet zugleich den normativen Kern eines Begriffsfelds, zu dem unter anderem die Rechtsbegriffe der Person, des Individualrechts, der Willensfreiheit, der Selbstbestimmung sowie der Menschenwürde zählen. All diese Begriffe sind jedoch auch Teil des ideengeschichtlichen Hintergrunds der philosophischen Moderne. Ziel meiner Arbeit ist es, zu zeigen, dass sich die seit der Aufklärung geprägten philosophischen Debatten über Begriffe wie Autonomie, Individuum, Person oder Freiheit als kritische Hintergrundfolie nutzen lassen, um ein tieferes Verständnis des historischen Wandels und der internen Widersprüchlichkeit der normativ-individualistischen Grundbegriffe des modernen Rechtsdenkens zu gewinnen. Spezifisch wird es in meinem Kolloquium darum gehen, die Deformation der Legitimationsfunktion des Autonomiekonzepts unter dem Einfluss des digitalen Wandels zu beschreiben. In diesem Zusammenhang werde ich auf konkrete Rechtsprobleme der personalen Autonomie und Identität in der digitalen Gesellschaft zu sprechen kommen, namentlich auf Fragen der algorithmischen Konsumentenprofilierung, der algorithmischen Diskriminierung und schließlich auf die Frage, was die Freiheit des digital konditionierten Ich in der modernen Gesellschaft allgemein bedeuten kann. Recht ist ein soziales System; signifikante Verschiebungen sozialer Strukturen, wie sie durch die genannten Digitalisierungsphänomene ausgelöst werden, lassen sich mithin immer auch im Recht nachweisen, und zwar typischerweise auf einer Ebene unterhalb seiner äußerlich konstant bleibenden Begriffsoberfläche. In einem weiteren Sinne zielt meine Arbeit mithin darauf, philosophische Fragestellungen und Konzepte als Mittel kritischer Reflexion über das Recht zu nutzen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Auer, Marietta (Tübingen, 2021)
Selbstreflexion der Privatwissenschaft : Formation, Herausforderungen, Perspektiven
Auer, Marietta (Baden-Baden, 2018)
Zum Erkenntnisziel der Rechtstheorie : philosophische Grundlagen multidisziplinärer Rechtswissenschaft Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie ; Heft 54
Auer, Marietta (Tübingen, 2016)
Eigentum, Famile, Erbrecht : drei Lehrstücke zur Bedeutung der Rechtsphilosophie im Privatrecht
Auer, Marietta (München, 2015)
Auer, Marietta (Tübingen, 2014)
Der privatrechtliche Diskurs der Moderne
Auer, Marietta (Tübingen, 2005)
Im Kolleg entstanden 15.06.21
Lectures & Keynotes 03.03.2020
Der Geist von Cecilienhof: Geschichte, Recht und das Erbe der Hohenzollern
Köpfe und Ideen 2020
„Was mich eigentlich interessiert, ist das Gesellschaftliche“
Marietta Auer im Interview mit Maximilian Steinbeis