Martin Jehne, Dr. phil.
Professor für Geschichte
Technische Universität Dresden
Geboren 1955 in Hamburg, Deutschland
Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität zu Köln
Arbeitsvorhaben
Geschichte der Antike
Vor einigen Jahren habe ich die Aufgabe übernommen, eine Gesamtgeschichte der Antike zu verfassen, von der homerischen Zeit bis zum Ende der Spätantike. Während der Zeit am Wissenschaftskolleg möchte ich gerne Kapitel zur späten römischen Republik und zu einem Teil der Kaiserzeit niederschreiben, also wenigstens bis zum Ende des 1., möglichst aber auch noch bis zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. gelangen.Meine leitenden Gesichtspunkte sind Partizipation, Öffentlichkeit, Diskursgrenzen und Gemeinwohlorientierung. Partizipation, besonders in ihren politischen Dimensionen, wird gerade in den Stadtstaatenkulturen der Antike in einer breiten Palette von oft raffiniert ausgeklügelten Formen organisiert, wovon sich die politische Theorie und Praxis der Neuzeit immer wieder hat inspirieren lassen. Allerdings gehört zu den antiken Partizipationsformen auch, dass große Teile der Bevölkerung, vor allem Frauen und Sklaven, rechtlich ausgeschlossen und die Angehörigen der Unterschichten faktisch massiv unterrepräsentiert sind. Die Politik war vielfach in hohem Umfang öffentlich und lief weitgehend als Kommunikation unter Anwesenden ab, sodass sich jeder Amtsinhaber, jeder Redner, jeder machtbewusste Akteur regelmäßig den Reaktionen eines Publikums ausgesetzt sah, die immer wieder einmal von dem abwichen, was er erwartete und/oder sich wünschte. Generell ist es in Bürgeröffentlichkeiten unmöglich, Entscheidungsempfehlungen zu vertreten, ohne sie als gemeinwohldienlich zu charakterisieren. Nun bedeutet Gemeinsinnsrhetorik natürlich nicht, dass die Individuen nicht durchaus ihre egozentrischen Ziele verfolgten, aber die Öffentlichkeit der Politik formte wohl nicht nur die Grenzen des Sagbaren, sondern beeinflusste auch die des Machbaren. So musste die reiche Führungsschicht ihren gemeinsinnigen Worten oft auch Taten folgen lassen - etwa im sog. Euergetismus, der Spendenbereitschaft reicher Privatleute zur Finanzierung von Gemeinschaftsangelegenheiten, die gerade die Stadtkultur, die ja die Antike dominierte, in besonderer Weise prägte. Die Zähmung, aber nicht Lähmung des Eigensinns als Daueraufgabe einer Gesellschaft, die sich nicht mit der weiterhin wirksamen Utopie der automatischen Entstehung des Gemeinschaftsnutzens als Nebenfolge der Fixierung auf individuelle Gewinnmaximierung erledigen lässt, ist in der Antike in vielfältiger Weise versucht und betrieben worden.
Lektüreempfehlung
Jehne, Martin. "The Senatorial Economics of Status." In Money and Power in the Roman Republic, herausgegeben von Hans Beck, Martin Jehne und John Serrati, 188-207. Bruxelles: Peeters Pub, 2016. (= Collection Latomus 355)
-. "Integrationsrituale in der römischen Republik: Zur einbindenden Wirkung der Volksversammlungen." In Sinn (in) der Antike: Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, herausgegeben von Karl-Joachim Hölkeskamp u. a., 279-297. Mainz: Zabern, 2003.
-. Der Staat des Dictators Caesar. Köln u. a.: Böhlau, 1987.
Kolloquium, 09.06.2020
Die Krise der Republik und die Entstehung der Monarchie in Rom, oder: Aufgabenerfüllung und Systemerhaltung im Konflikt
In den Zeiten von Corona fürchten wir um unsere demokratischen Ordnungen. Diese Reaktion ist keineswegs unbegründet, aber strukturell ist die Konstellation, die die Befürchtungen hervorruft, natürlich nicht neu, basiert sie doch auf dem in schwereren Krisen verstärkt auftretenden Basiskonflikt zwischen der raschen Bewältigung von drängenden Aufgaben und der Erhaltung von Partizipation und Freiheit. So lässt sich auch in der langen Krise bis zum Ende der römischen Republik und der Etablierung einer Monarchie im 1. Jahrhundert v. Chr. beobachten, wie der Diskurs der Aufgabenerfüllung und der Diskurs der Systemerhaltung aufeinanderprallten. In meinem Vortrag möchte ich diese Dimension des Niedergangs der römischen Republik, deren politisches System man als bis zu einem gewissen Grade partizipatorisch, aber nicht demokratisch einstufen kann, in den Vordergrund rücken. Dazu will ich zunächst den wohl berechtigten Langzeitpessimismus des Polybios hinsichtlich der Lebensdauer politischer Systeme kurz vorführen. Sodann soll der lange Weg zum Untergang als ein historischer Prozess konzeptualisiert werden, in dem die Übermacht der Nebenwirkungen das beherrschende Element darstellt. Mein zentrales Beispiel für den Kampf der Diskurse ist die Debatte um die Verleihung des großen Militärkommandos an Cnaeus Pompeius im Jahre 66 v. Chr., da darin klar hervortritt, wie die Systemerhaltungsreflexe beiseitegeschoben werden, um aktuelle Probleme zu lösen, aber auch um Machterweiterungschancen zu nutzen. Schließlich soll "die caesarische Kontingenz" gewürdigt werden, nicht als ein Rückfall in die Perspektive, in der die "großen Männer" die Geschichte machen, sondern vor allem zur Illustration, wie der Leistungsdiskurs der Übersollerfüller die Monarchie hoffähig macht, die als Ziel des eigenen Bestrebens im politischen System der römischen Republik genauso wenig sagbar ist wie in unseren Demokratien.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Jehne, Martin (Göttingen, 2020)
Freud und Leid römischer Senatoren : Invektivarenen in Republik und Kaiserzeit Karl-Christ-Preis für alte Geschichte ; Band 4
Jehne, Martin (Stuttgart, 2015)
Foreign "clientelae" in the Roman Empire : a reconsideration Historia
Jehne, Martin (München, 2014)
Jehne, Martin (München, 2009)
Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handelnde Individuum : Caesars Entscheidungen Trend, Sachzwang, Individuum
Jehne, Martin (München, 2008)
Die Römische Republik : von der Gründung bis Caesar Beck'sche Reihe ; 2362