Felix Körner SJ, Dr. phil., Dr. theol.
Professor für Theologie
Päpstliche Universität Gregoriana, Rom
Geboren 1963 in Offenbach am Main, Deutschland
Studium der Philosophie an der Hochschule für Philosophie München; Theologie am Heythrop College, London, und an der Universität Freiburg (Schweiz) sowie Islamwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Arbeitsvorhaben
Deutschsprachige Islamische Theologie: Hermeneutik und Kritik
In den letzten beiden Jahrzehnten sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz universitäre Einrichtungen für Islamische Theologie entstanden: in Freiburg (Schweiz) und Wien sowie in Berlin, Erlangen-Nürnberg, Frankfurt/Gießen, Münster, Osnabrück und Tübingen. Die ersten islamisch-theologischen Originalpublikationen erschienen auf Deutsch. Gegenwärtig wächst die zweite Generation von deutschsprachigen Islamtheologinnen und -theologen heran.Die interdisziplinäre Auseinandersetzung kritisiert, dass Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften die Wissenschaftsfreiheit einschränken. Die öffentliche Debatte moniert dagegen mitunter, dass es so etwas wie islamische Theologie gar nicht gebe oder dass der akademische Betrieb realitäts-, nämlich gemeindefern sei.
Ich untersuche die deutschsprachige islam-theologische Entwicklung unter dreierlei Rücksicht: 1) in Form einer Methodenbeschreibung, 2) einer Kontextualisierung in Europa und in der islamischen Welt sowie 3) in Form einer begrifflich-inhaltlichen Auseinandersetzung. Dreimal kann das Leitmotiv dafür "Hermeneutik und Kritik" lauten.
Zu fragen ist nämlich genauerhin: 1) Welche hermeneutischen und kritischen Verfahren kommen in den Textwissenschaften, der historischen Selbstreflexion, der systematischen Darstellung der Glaubenslehre und der gegenwartsbezogenen Normbildung zur Anwendung? 2) Was bedeutet die Herausbildung des neuen Gesprächspartners "Islamische Theologie" für das Verhältnis der Religionen und ihrer Diskurse im deutschsprachigen Raum sowie für den Islam und seine Selbsterschließungsgeschichte weltweit? 3) Wie bewährt sich das jeweilige Organisationsmodell? Ist zugleich Wissenschaftsfreiheit gewährt und ein Austausch mit dem Glaubensleben heutiger Muslime, sodass islamische Theologie weder Indoktrination noch Islamwissenschaft ist? Sind die erzielten Forschungsergebnisse auch für die anderen deutschsprachigen Theologien nutzbar? Wo muss das Gespräch mit europäischen philosophisch-theologischen Kategorien ansetzen?
Lektüreempfehlung
Körner, Felix. Glaube in Gesellschaft: Ankaraner Stimmen zur Politischen Theologie. Freiburg: Herder, 2019.
-. Alter Text - neuer Kontext: Koranhermeneutik in der Türkei heute. Freiburg: Herder, 2. Aufl. 2015.
-. Kirche im Angesicht des Islam: Theologie des interreligiösen Zeugnisses. Stuttgart: Kohlhammer, 2008.
Kolloquium
Islamische Universitätstheologie im deutschsprachigen Raum
Rund 25 deutschsprachige Universitäten bieten islamwissenschaftliche Studiengänge an. Traditionell arbeitet das Fach philologisch; heute nutzt es unterschiedliche historische sowie literatur-, sozial- und kulturwissenschaftliche Verfahren. Seit zehn Jahren aber entsteht hierzulande ein weiteres islambezogenes Studienfach: "Islamische Theologie", inzwischen an zehn Standorten. Deren erste wissenschaftliche Erzeugnisse sind derzeit meine Arbeitsgrundlage. Meinem Bericht sei die Frage vorgeschaltet, was eigentlich islamische Theologie ist.
Was als Theologie gelten kann, deutet meine Formel an: "der rationale Diskurs einer Religion". Damit ist bereits gesagt, dass Theologietreibende selbst zu der Religion gehören, die sie erforschen, und dies kraft ihrer Zugehörigkeit tun. Und wozu tun sie es? Es lassen sich wohl drei theologische Agenden unterscheiden, wenn auch nicht eindeutig voneinander trennen.
- Wer zeigen will, dass die eigene Religion wahr ist, arbeitet "apologetisch", allerdings weder im Sinne von Entschuldigung noch von Abwehrreaktion, sondern im Sinne der systematisch-argumentativen Darstellung des eigenen Glaubens als Gesamtzusammenhang. (Zum Wort "apologetisch" vgl. 1 Petrus 3,15, "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt", wobei im Griechischen für "Rede und Antwort" "apología" steht.)
- Wer die Bedeutung der eigenen Religion für heute darstellen will, geht dagegen "hermeneutisch" vor, und zwar im Sinne deutender Überlieferungsübertragung, die sich als Traditionsentwicklung auswirken wird: in Handlungsanweisungen und häufig als Kritik an der eigenen Gemeinschaft oder an gesellschaftlichen Zuständen.
- Dann aber gibt es auch Wissenschaftler, die einfach in ihre Religionstradition eintauchen wollen, ohne apologetische oder hermeneutische Agenda. Sie könnten ihr Erkenntnisinteresse etwa so zur Sprache bringen: "Ich möchte schlicht die Logik des Heiligen verstehen." Auch wer mit einer solchen Absicht arbeitet, kann durchaus als Theolog*in gelten. Bezeichnen würde ich diese dritte Agenda dann als "talmudisch"; auch wenn der Talmud gar nicht im Blick zu sein braucht.
Und wer keine dieser drei Agenden hat? Antwort: arbeitet eben nicht theologisch.
Wenn Theologie nun also der rationale Diskurs einer Religion ist, scheint Verbindung zu einer lebendigen Religionsgemeinschaft erforderlich. Und eine solche Gemeinschaft hat sogar das Recht zu sagen: Diese oder jene Person hat durch ihre Meinung oder ihren Lebensstil gezeigt, dass sie nicht in unserem Namen sprechen kann.
Wenn der Staat allerdings weltanschaulich neutral sein will, kann keine staatliche Behörde über Glaubensfragen entscheiden. Im Fall der christlichen Universitätstheologie delegiert er das Fällen von Rechtgläubigkeitsurteilen an die Kirche. Bei der katholischen Kirche ist dann der Ortsbischof zuständig. Auch jede protestantische Landeskirche in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat ein Lehramt. Aber für den Islam - wer könnte im Namen der Religionsgemeinschaft die Rechtgläubigkeit eines Professors beurteilen? Jede Universität hat hierfür einen Beirat eingerichtet. Spannungsfrei geht das selten: Die größten muslimischen Verbände fordern Sitz und Stimme, sind aber teils der Doktrin eines anderen Staates verpflichtet, sie bilden kaum die muslimischen Anliegen vor Ort ab, es fehlt ihnen aber in der Regel auch akademisches Fachwissen und zwischen den verschiedenen Verbänden verlaufen mitunter tiefe Gräben.
Warum sollte ein säkularer Staat, eine plurale Gesellschaft und die doch grundsätzlich unabhängige akademische Welt aber überhaupt wollen, dass es Universitätstheologie gibt? Es ist natürlich attraktiv, wenn Lehrkräfte für den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht - versetzungsrelevantes Fach auch an öffentlichen Schulen hierzulande - und das gemeindeleitende Personal eine akademische Ausbildung durchlaufen. Akademische Theologien sind gut für die Religionsgemeinschaften, für die Öffentlichkeit und auch für die Universität, so der Deutsche Wissenschaftsrat im Jahr 2010.
Nun lese ich, wie gesagt, derzeit deutschsprachige Publikationen Islamischer Universitätstheolog*innen: Lehrmaterial, Doktorarbeiten und einzelne Forschungsbeiträge. In meinem Vortrag möchte ich meine ersten Eindrücke wiedergeben, eine Typologie muslimischer Theolog*innen vorschlagen und versuchen, vier Fragen zu beantworten: (1) Zwingen wir die Muslime, künstlich eine islamische Theologie zu schaffen, die es in der Geschichte des Islam nie gab? (2) Geschieht hier eine gefährliche Zusammenarbeit zwischen Politik und Religion, die zwangsläufig "Merkels milde Muslime" hervorbringt: einen verfälschten, spalterischen "Euro-Islam"? (3) Oder aber: Ist es wahrscheinlich und wünschenswert, dass das jetzt entstehende deutschsprachige islamische Denken andere muslimische Kulturen beeinflusst? (4) Und schließlich: Was können Nicht-Muslime von diesem neuen Gesprächspartner in unserer Religions- und Universitätslandschaft lernen?
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Körner SJ, Felix (Freiburg, 2021)
Identitäten und Kulturen : Kontexte im Konflikt Jerusalemer Religionsgespräche
Körner SJ, Felix (Göttingen, 2021)
Christus und die Andersgläubigen : Religionstheologie nach Wolfhart Pannenberg
Körner SJ, Felix (Einsiedeln, 2020)
Körner SJ, Felix (2020)
Kirchen, Moscheen, Museen - und wieder Moscheen : Hintergründe der türkischen Umwidmungspolitik
Körner SJ, Felix (2020)
Ekklesiologie im Widerstand : wieso Religion für Alfred Delp etwas Politisches ist
Körner SJ, Felix (2020)
Körner SJ, Felix (2020)
Körner SJ, Felix (2020)
Körner SJ, Felix (2020)
Das Dokument von Abu Dhabi : eine politische Debatte
Körner SJ, Felix (Freiburg, 2020)
Politische Religion : Theologie der Weltgestaltung - Christentum und Islam Political religion