Ulrich Rudolph, Dr. phil.
Professor für Islamwissenschaft
Universität Zürich
Geboren 1957 in Offenbach am Main, Deutschland
Studium der Islamwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der Ruhr-Universität Bochum und der Eberhard Karls Universität Tübingen
Arbeitsvorhaben
Konzepte von Philosophie in der islamischen Welt
Seit die islamische Philosophie im 19. Jahrhundert zu einem Gegenstand der Forschung geworden ist, gab sie immer wieder Anlass zu Debatten. Sie betrafen nicht nur einzelne Denker und Sachthemen, sondern auch die grundsätzliche Frage, wann überhaupt eine Philosophie in der islamischen Welt bestanden habe und wie diese inhaltlich zu beschreiben sei. Die Antworten darauf divergieren stark. Einige Autoren favorisieren einen Philosophie-Begriff, der ganz an die griechische Tradition angelehnt ist (woraus sie in der Regel folgern, dass die islamische Philosophie um 1200 mit Averroes endete), andere sprechen von einem spezifisch "islamischen Denken" (das dann erst ab dem 12. Jahrhundert nachweisbar sein soll), wieder andere von "orientalischer Weisheit". Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie jeweils von einem einzigen Konzept ausgehen, auf das die gesamte Philosophie in der islamischen Welt reduziert werden soll.Dieses restriktive und methodisch problematische Vorgehen stellt mein Projekt infrage. Es geht von der Annahme aus, dass philosophische Traditionen immer eine innere Vielfalt aufweisen. Das gilt für die europäische Philosophiegeschichte ebenso wie für jene in der islamischen Welt oder anderswo. Konkret dürften sich zwei Achsen von Pluralität unterscheiden lassen, die durch die Ergebnisse der neueren Forschung zunehmend Bestätigung finden: eine diachrone, die besagt, dass im Verlauf der islamischen Geschichte unterschiedliche Konzepte von Philosophie entwickelt wurden und dominierten. Und eine synchrone, insofern jede Epoche – auch die Zeit bis 1200, die stark vom griechischen Erbe geprägt war und deswegen häufig als Einheit betrachtet wird – für sich noch einmal eine Binnendifferenzierung von Konzeptionen erkennen lässt. Das zu reflektieren und auf die historiografische Praxis anzuwenden ist Ziel meines Projekts, das seinen Niederschlag in Publikationen, einem Workshop mit Fachkolleg*innen und öffentlichen Veranstaltungen finden soll.
Lektüreempfehlung
Rudolph, Ulrich. Islamische Philosophie: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck, 2018, 4. Aufl.
-, Hg. Grundriss der Geschichte der Philosophie (Ueberweg). Philosophie in der islamischen Welt, Band 1: 8.-10. Jahrhundert. Basel: Schwabe, 2012; englische Übersetzung: Leiden, 2017.
-. Al-Maturidi und die sunnitische Theologie in Samarkand. Leiden: Brill, 1997; englische Übersetzung: Leiden, 2015.
Kolloquium, 17.12.2019
Konzepte von Philosophie in der islamischen Welt
Obwohl die Philosophie in der islamischen Welt schon lange die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden hat, sind einige Grundprobleme noch immer ungelöst, wenn nicht umstrittener als früher. Dazu gehört die Frage, wie der Begriff der Philosophie verstanden werden soll, wenn er auf die islamische Welt angewandt wird, in der longue durée und insbesondere in der Zeit nach Averroes, d.h. nach 1200. Dazu liegen zwar verschiedene Forschungsmeinungen vor, die von "griechischer Philosophie" über "islamisches Denken" und "orientalische Weisheit" bis hin zu "Paraphilosophie" reichen. Sie alle erscheinen jedoch problematisch, insbesondere, weil sie die Philosophie jeweils auf einen einzigen, eng definierten Begriffshorizont reduzieren.
Ziel meines Vortrags ist es deswegen, diese Festlegungen in Frage zu stellen und die Perspektive zu erweitern. Zu diesem Zweck werden zunächst die vier wichtigsten Paradigmen, die in der Forschung seit dem 19. Jahrhundert entwickelt wurden, vorgestellt und kurz charakterisiert. Anschließend kommen die Akteure, d.h. die islamischen Autoren, selbst zu Wort. An einigen ausgewählten Beispielen wird sich zeigen, wie unterschiedlich Philosophen und Philosophiehistoriker, die zwischen dem 10. und dem 15. Jahrhundert in der islamischen Welt gewirkt haben, ihre eigene Disziplin und deren Geschichte beschreiben. Daraus und aus der Heterogenität der Forschungsmeinungen lässt sich ableiten, dass der philosophische Diskurs jeweils vielgestaltig war und nur adäquat dargestellt werden kann, wenn die heuristischen Instrumente, mit denen er untersucht wird, dieser Vielfalt Rechnung tragen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rudolph, Ulrich (Basel, Schweiz, 2021)
Grundriss der Geschichte ... ; [Abteilung 8], Band 4,2 ; Türkei, Iran und Südasien Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Türkei, Iran und Südasien
Rudolph, Ulrich (Basel, 2021)
Grundriss der Geschichte ... ; [Abteilung 8], Band 2,1 ; Zentrale und östliche Gebiete Elftes und zwölftes Jahrhundert: Zentrale und östliche Gebiete
Rudolph, Ulrich (Basel, Schweiz, 2021)
Grundriss der Geschichte ... ; [Abteilung 8], Band 4,1 ; Arabischer Sprachraum Neunzehntes und zwanzigstes Jahrhundert: Arabischer Sprachraum
Rudolph, Ulrich (Leiden, Bosten, 2020)
Post-Ghazālian theology : what were the lessons to be learned fron al-Ghazāli
Rudolph, Ulrich (Berlin, Boston, 2019)
Zwischen Platon, Ardaschir und Mohammed : politische Philosophie in der islamischen Welt
Rudolph, Ulrich (Berlin, 2019)
Al-Ghazālī on philosophy and jurisprudence
Rudolph, Ulrich (Paris, 2019)
Rudolph, Ulrich (Stuttgart, 2018)
Islamische Positionen zum Thema "Krieg" : ein historischer Überblick
Rudolph, Ulrich (Freiburg, München, 2018)
Gespräch mit Porfessor Dr. Ulrich Rudolph (Universität Zürich)