Hedwig Richter, Dr. phil.
Professorin für Neuere und Neueste Geschichte
Universität der Bundeswehr München
Geboren 1973 in Bad Urach, Deutschland
Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Queen’s University Belfast und der Freien Universität Berlin
Arbeitsvorhaben
Hausfrauen. Demokratie, Patriarchat und Konsum in der frühen Bundesrepublik
Anhand der Figur der Hausfrau in der Bundesrepublik Deutschland untersuche ich die Resilienz von Geschlechterordnungen und die Frage nach dem Zusammenhang des Hausfrauenmodells mit der neuen demokratischen und marktwirtschaftlichen Ordnung. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Versuch, sich dem Beginn des Anthropozäns in der Mitte des 20. Jahrhunderts mikrohistorisch anzunähern. Als Startpunkt gilt zumeist die „Great Acceleration“ mit extremen sozioökonomischen und das Erdsystem betreffenden Veränderungen. Das Modell der Hausfrau war ein westliches Phänomen und stand in enger Verbindung mit Konsum und wachsendem Wohlstand. Hausfrauen waren daher wesentliche Trägerinnen der sozioökonomischen Trends wie steigendem Wasser- und Nahrungsmittelverbrauch, Anstieg der Weltbevölkerung oder wachsendem Tourismus.Die Studie soll die Geschichte der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft und ihre scheinbare Stabilität aus der Perspektive einer Mehrheit der Frauen ergänzen. Im Zentrum stehen die ersten Nachkriegsjahrzehnte, doch es soll einen Ausblick bis in die Gegenwart geben. Meine These ist, dass sich das Hausfrauenmodell aufgrund seiner doppelten Natur durchsetzen konnte: Einerseits diente es als natürliches, zeitloses Refugium, andererseits als idealer Rahmen für die großen Transformationen der zweiten Jahrhunderthälfte. Denn es legitimierte die anstehenden Veränderungen, ohne den Männern zu viel abzuverlangen – eine wichtige Voraussetzung für die Pazifizierung einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Zwei weitere Thesen schließen sich an. Die Idee der Hausfrau erlaubte die Illusion einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“, weil sie sich in allen Schichten fand. Und schließlich diente das Hausfrauenmodell als einigendes Band des Westens. Es stand als vermeintlich natürliches und freies Lebenskonzept gegen den sozialistischen Lebensentwurf mit Frauenarbeit. Wesentlich dafür war der Konsum, zu dessen richtigem, demokratischem Gebrauch die Hausfrauen mit unzähligen öffentlichen Programmen geradezu erzogen werden sollten.
Die Figur der Nachkriegshausfrau verstehe ich als eine innovative Traditionserfindung, eine Novität aus Reaktion und Modernität.
Lektüreempfehlung
Richter, Hedwig. Moderne Wahlen: Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert. Hamburg: Hamburger Edition, 2017.
—. Demokratie: Eine deutsche Affäre. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München: C.H.Beck, 2020.
—. Aufbruch in die Moderne: Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich. Berlin: Suhrkamp, 2021.
Kolloquium, 14.11.2023
Demokratie und Revolution. Wege aus der ökologischen Unmündigkeit?
Wir schreiben ein Buch darüber, was das Anthropozän (also im Wesentlichen der Klimawandel und das Artensterben) für die liberale Demokratie bedeutet. Unsere Ausgangsfrage war eigentlich: Was können Demokratien zur Beendigung der planetaren Zerstörung beitragen? Inzwischen stellt sich für unser Buch eher die noch bedrohlichere Frage: Wie können wir die Demokratie vor dem Anthropozän retten? Denn die Demokratie wird durch die Klimakrise gefährdet, weil sie die Gesellschaften in eine Kaskade von Notständen treibt, in denen der demokratische Rechtsstaat zwar formal weiter existieren mag, faktisch allerdings von einem Notstandsregime in Permanenz außer Kraft gesetzt werden könnte. Die Demokratie wird in diesem Falle nicht etwa durch ihre geistigen Feinde gefährdet, sondern durch ihre materiellen Emissionen, sie wird sich selbst zum Feind, ohne dass dabei ein böses Wort fallen muss oder besonders böse Taten vollbracht werden. Demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit oder Menschenwürde werden durch die Zerstörung der Natur massiv gefährdet und in Frage gestellt. Dennoch bleibt für uns auch die Frage relevant, wie liberale Demokratien auf die Klimakrise reagieren können.
Da wir im Dezember das Manuskript abgeben, würden wir uns freuen, einige unserer Kernthesen mit Euch zu diskutieren.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Richter, Hedwig (Köln, 2024)
Demokratie und Revolution : Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit
Richter, Hedwig (Berlin, 2021)
Aufbruch in die Moderne : Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich edition suhrkamp ; 2762
Richter, Hedwig (München, 2020)
Demokratie : eine deutsche Affäre : vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Richter, Hedwig (Hamburg, 2017)
Moderne Wahlen : eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert
Richter, Hedwig (Frankfurt am Main [u.a.], 2011)
Voting for Hitler and Stalin : elections under 20th century dictatorships
Richter, Hedwig (Göttingen, 2009)
Pietismus im Sozialismus : die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft ; 186