Mary O'Sullivan, PhD
Professorin für Wirtschaftsgeschichte
Universität Genf
Geboren 1968 in Dublin
BComm, University College Dublin, MBA und PhD in Betriebswirtschaft, Harvard University
Arbeitsvorhaben
The Fabric of Profit: European Textiles in Global Perspective, 1750–1850
The Fabric of Profit addresses the history of capitalism as its general theme with a focus on the history of European textiles during the revolutionary age from 1750 to 1850. The project is organized around two research “streams” that draw on a variety of primary sources to address distinct but complementary questions about the practices and discourses of profit. First, how were profits understood, pursued, and generated in economic practice? Second, how were profits constructed and contested in economic discourses about political economy? The project’s innovative character stems both from its profit-oriented analytical approach as well as from a methodology organized around global commodity chains. By structuring its macro-analysis around these chains, the project benefits from their well-known methodological advantages to situate the economic and social evolution of European textiles in the context of global history.Recommended Reading
O’Sullivan, Mary. “Constructing a Big History of Inequality.” History Compass 20, no. 4 (2022): e12719. https://doi.org/10.1111/hic3.12719.
–. “History as Heresy: Unlearning the Lessons of Economic Orthodoxy.” Economic History Review 75, no. 2 (2022): 297–335. https://doi.org/10.1111/ehr.13117.
–. “Machines in the Hands of Capitalists: Power and Profit in Late Eighteenth-Century Cornish Copper Mines.” Past and Present 260, no. 1 (2023): 71–122. https://doi.org/10.1093/pastj/gtac039.
Kolloquium, 28.02.2017
Wegweiser für die intelligente Frau zum Kapital
Viele von uns haben eine feste Meinung dazu, aber diese Meinungen sind so vielfältig wie vieldeutig. Manche sehen in ihm die Quelle von Innovation, andere die Brutstätte von Ausbeutung und Ungleichheit. Wenn ein Begriff von so unterschiedlichen Figuren wie Louis Blanc, Max Weber, der New York Stock Exchange, Joseph Goebbels, Ayn Rand und Michael Moore beschworen wird, steht sein polemischer Charakter wohl außer Frage. Und in der Tat: Wenn wir der Frage Aufmerksamkeit schenken, wie der Begriff Kapitalismus verwendet wird, dann zeigt sich, dass wir uns noch nicht einmal darauf einigen können, was wir vor uns haben: Kapitalismus ist ein Begriff, der so schwankend und schwer fassbar ist wie die Welt, die er evoziert. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Kapitalismus als vager und polemischer Begriff unter Beschuss gerät, wenn er - wie in den letzten Jahren - auf ein wieder erwachendes Interesse an der Geschichte des Wirtschaftslebens stößt. Zusammen mit dem üblichen Beschwerdekatalog wird gegen ihn jetzt ein beeindruckendes Korpus historischer Belege zu Privateigentum, Lohnarbeit, Verdinglichung und Kapital in Stellung gebracht und viele der Belege scheinen eine Bedrohung für die empirischen Grundlagen der konventionellen Interpretationen des Kapitalismus zu sein. Wenn es jemals einen Begriff gegeben hat, auf den man in den Geistes- und Sozialwissenschaften gänzlich verzichten oder den man nur verwenden sollte, wenn man ihn jeglicher substanzieller Bedeutung entkleidet hat - dann wäre es allem Anschein nach der Begriff Kapitalismus.
Im ersten Teil meines Kolloquiums will ich Sie jedoch davon überzeugen, dass in der Beschäftigung mit dem Begriff Kapitalismus ein beachtliches wissenschaftliches Potential liegt. Ich möchte darlegen, dass ein solches Engagement sowohl begrifflich als auch empirisch vielversprechend ist, doch nur wenn es kritisch ist. Die theoretischen und empirischen Unzulänglichkeiten von konventionellen Erklärungen des Kapitalismus sind in der Tat beträchtlich und sie machen theoretische Erneuerung zu einem wesentlichen Aspekt jedes Forschungsprogramms zum Kapitalismus. Dabei erscheint das Kapital als würdiger Schwerpunkt eines solchen Programms; vielleicht kann Kapital ohne Kapitalismus existieren, aber es ist nur schwer vorstellbar, dass der Kapitalismus ohne Kapital auskäme. Doch merkwürdigerweise ist das Kapital im Zuge der jüngsten Neubelebung des wissenschaftlichen Interesses eher vernachlässigt worden und verdient mit Sicherheit etwas mehr Aufmerksamkeit.
Ein ausgesprochen vernünftiger schwedischer Ökonom erklärte einmal: Wenn das "wenig bekömmliche Irish Stew namens 'moderner Kapitalismus'" überhaupt einen Sinn haben soll, muss man es mit der Erforschung des Kapitals in der "Wirtschaftswissenschaft" verknüpfen. Im zweiten Teil meines Kolloquiums will ich versuchen, die anhaltenden, wenn auch vereinzelten Bemühungen zu verstehen, eine Wissenschaft des Kapitals im Rahmen der im Entstehen begriffenen Disziplin der Ökonomie zu entwickeln. Mein Ziel ist es jedoch nicht, in zwanzig Minuten oder so (!) den vielfältigen Schriften gerecht zu werden, die Männer - und ab und an auch eine Frau - über die Ökonomie des Kapitals im Wandel der Zeiten verfasst haben. Stattdessen möchte ich vielmehr die Entstehung eines Kanons zum Kapital in den Wirtschaftswissenschaften untersuchen als meinem eher katholischen Geschmack in Bezug auf wirtschaftswissenschaftliche Theoretiker freien Lauf lassen. Ich zeige, dass die Ökonominnen und Ökonomen seit dem späten 18. Jahrhundert eine recht spezifische Bedeutung des Kapitals entwickelten und ihm eine herausragende Position im Wirtschaftsleben zuwiesen. Dennoch konnten sie sich nicht entscheiden, was das Wesen des Kapitals ausmachte; sie verschleierten die ökonomische Rolle des Kapitals und klärten sie gleichermaßen - und machen ebenso viele Mutmaßungen wie Erklärungsversuche über den Kapitalertrag. Das Ergebnis, das sich in den fortlaufenden "Kapitalkontroversen" des 19. und 20. Jahrhunderts zeigt, war enormer Streit und große Verwirrung in den Wirtschaftswissenschaften hinsichtlich des Wesens, der Funktionen und Erträge des Kapitals. Tatsächlich ist es nicht unfair zu sagen, dass die wirtschaftswissenschaftliche Theorie des Kapitals selbst wie ein "unbekömmliches Irish Stew" daherkommt.
Die Ökonomen ließen diese Kontroversen hinter sich - aber nicht, indem sie die umstrittenen Fragen lösten, sondern indem sie sich auf "Parabeln des Kapitals" einigten, wie ein ziemlich prominenter amerikanischer Ökonom einmal mit entwaffnender Offenheit zugab - nicht ganz so freundliche Beobachter bezeichneten dies allerdings als "Mythologie" des Kapitals. Im dritten Teil meines Vortrags befasse ich mich mit der Geschichte des Wirtschaftslebens, um die beträchtliche und ironische Wirkung zu erklären, die diese Parabeln haben, und zwar auf unser Verständnis von der Position des Kapitals in der Wirtschaft. Allgemein formuliert ist meine These, dass das Kapital - sein Wesen, seine Funktion und sein Ertrag - aus dieser Geschichte hinausgeschrieben wurde, und das wirkt sich katastrophal auf jede ernsthafte Betrachtung der Rolle des Kapitals und des Kapitalertrags in heutigen und vergangenen Gesellschaften aus. In "Capital in the Twenty-First Century" hat Thomas Piketty versucht, dieses Loch mit riesigen Mengen historischer Daten zu füllen, aber bestimmte Parabeln des Kapitals spielen in seiner Analyse immer noch eine entscheidende Rolle. Ich schließe mit der These, dass die Ökonomen eine Wissenschaft vom Kapital entwickelt haben, die vor allem deswegen so wenig erhellend ist, weil sie sich bei der Konstruktion seiner Grundelemente zweifelhafter Methoden bedient haben. Und ich möchte einen bescheidenen Vorschlag für einen stärker historischen (und weniger mutmaßenden) Ansatz machen: als Wegweiser für das wirtschaftswissenschaftliche Nachdenken über das Kapital und was dies für den Kapitalismus bedeuten könnte - in eine Richtung, die für die intelligente Frau vielleicht zufriedenstellender ist.
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