Ausgabe 18 / Januar 2023
Editorial 2023
von Katharina Wiedemann
In diesen Tagen begegnen uns fast überall Schlagzeilen und Artikel zur KI, zur Künstlichen Intelligenz, die in Form von ChatGPT, Stabile Diffusion et al. nun allen, die wollen, zum Ausprobieren, Nutzen, Arbeiten zur Verfügung steht. Im internen Sprachgebrauch des Wissenschaftskollegs hat KI eine andere Bedeutung. Seit mittlerweile 18 Jahren steht die Abkürzung für unser Magazin Köpfe und Ideen. Und dieses ist in gewisser Weise eine Antithese zur KI, der Künstlichen Intelligenz. Köpfe und Ideen handelt von nachdenklichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das ist es, was die Fellows am Wissenschaftskolleg tun: Sie ringen mit ihren Gedanken, Erkenntnissen und – wenn es gut läuft – neuen Ideen. Dieser Denkprozess ist (bisher?) nicht technisch replizierbar, denn er geht über die Auswertung von Daten weit hinaus. Er erfordert Erfahrung, denkerische Kraft, Kreativität oder aber den glücklichen Zufall des Gesprächs mit einem anderen Kopf, das die Gedanken neu und anders ausrichtet. Inwieweit die jüngsten Produkte der Künstlichen Intelligenz in Fellowkreisen in Zukunft Anwendung finden, wird sich zeigen.
Während ihrer gemeinsamen Zeit am Wissenschaftskolleg stellen die Fellows, die Köpfe, einander ihre Ideen im Zustand des Entstehens vor. Sie müssen sich mit ihren Methoden und Erkenntnissen vor der Gruppe der Mit-Fellows bewähren. Das ist riskant und bedarf des Vertrauens zueinander wie auch des offenen Umgangs miteinander. Orte, in denen eine solche Atmosphäre entstehen kann und sogar aktiv befördert wird, sind für die Wissenschaft unerlässlich. Das ist in offenen und demokratischen Gesellschaften glücklicherweise klar. In vielen Ländern Europas wie der Welt scheinen solche Bedingungen jedoch zunehmend weniger selbstverständlich zu werden.
Diese Tatsache ist uns Ansporn, den Kurs zu halten und andere von der Notwendigkeit freier Denkorte überzeugen zu wollen. Das vorliegende Heft stellt nur einen kleinen Teil dieser Überzeugungsarbeit dar.