Ausgabe 19 / März 2024
Editorial
von Katharina Wiedemann
Die Zusammensetzung eines Fellowjahrgangs am Wissenschaftskolleg entsteht aufgrund von verschiedenen – auch ganz praktischen – Aspekten und ist daher im Ergebnis in einem Maße zufällig, dass sie für alle Beteiligten Überraschungen bereithält. Diese überraschungsreiche Zusammenstellung ist der Nährboden für die unverhofften Begegnungen, die viele Fellows während ihres Aufenthalts besonders schätzen.
Überraschend ist hoffentlich auch weiterhin die kleine, feine Auswahl an Köpfen und den dazugehörigen Ideen, die wir Ihnen hier in der 19. Ausgabe unseres Magazins präsentieren. Die Auswahl fällt angesichts der Fülle an mitgebrachten Themen, über die zu berichten wichtig und bereichernd wäre, jedes Mal unerhört schwer. Auch weil unsere Texte jeweils nur einen andeutungsweisen Ausschnitt auf die zu erwartenden Bücher, Artikel und Kooperationen der Fellows sind.
Wir beginnen die diesjährige Ausgabe mit dem ebenso analytischen wie engagierten Blick, den die Schriftstellerin Alisa Ganieva in ihren Texten auf die politische Verfasstheit ihrer russischen Heimat wirft. Die Frage, wie Gesellschaften zu einer solidarischen Nutzung und Gewinnverwertung der digitalen Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger kommen, beschäftigt die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack. Der Geruchssinn wiederum interessiert den Neurobiologen und Hirnforscher Giovanni Galizia, weshalb er von Gerüchen träumende Bienen zu seinem Untersuchungsgegenstand gemacht hat. Der „Brief aus Berlin“ taucht diesmal zweifach auf: einmal als feuilletonistisches Aperçu der Soziologin Barbara Thériault und dann als Tauchgang in die eigene musikalische Vergangenheit des Philosophen Andrew Hui.
Wenn wir auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den Krieg im Nahen Osten hier nicht eingehen, so heißt das keineswegs, dass die Fellows der allgemeinen Weltlage entrückt nur unbeirrt an ihren sehr speziellen Vorhaben arbeiten würden. Thematisiert wurden und werden die beiden aktuellen Großkonflikte auch am Wissenschaftskolleg, nicht nur im persönlichen Gespräch, sondern auch in öffentlichen Diskussionsrunden und Abendvorträgen. Die äußerst vielfältige Gemeinschaft der Fellows zeigt, dass selbst extreme politische Konflikte und vermeintlich unvereinbare Interessen dem kritischen Austausch und der Neugier am Gegenüber nicht im Wege stehen müssen.