Schwerpunktgruppe 2018/2019
Die großen Übergänge in der Evolution der Organismen
Wie haben sich Kooperation zum Zweck der Fortpflanzung und Altruismus durch natürliche Selektion entwickelt? Dies gehört zu den grundlegendsten Fragen in der Biologie. Mehrere Ideen gehen auf die Theorie der Gesamtfitness [inclusive fitness] zurück, die in den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelt wurde: Wenn die an der Interaktion Beteiligten nicht miteinander verwandt sind, ist Kooperation unter der Bedingung stabil, dass alle ihren Fortpflanzungserfolg steigern können; doch Altruismus kann sich nur dann entwickeln, wenn die Beteiligten miteinander verwandt sind. Das liegt daran, dass biologischer Altruismus letztlich eher eigennützig als selbstlos ist, wenn man den Fortpflanzungserfolg in der „Währung“ von genetischen Kopien ausdrückt. Diese Betrachtungsweise der adaptiven sozialen Evolution „durch die Brille der Gene“ sagt vorher, dass Organismen durch natürliche Auslese so konstruiert sind, dass sie die Summe von Genkopien, die soziale Charakteristika kodieren, in den kommenden Generationen über zwei mögliche Wege maximieren: entweder über direkte Fortpflanzung und/oder über die Fortpflanzung von Verwandten. Für letzteres ist entscheidend, dass die Differenz zwischen dem Verwandtschaftsgrad zu den Nachkommen der Verwandten und zu eigenen Nachkommen ausgeglichen wird.
Eine weitere konzeptionelle Erweiterung besteht darin, dass sich in den 1990er-Jahren das Paradigma der großen Übergänge in der Evolution [major transitions in evolution] etabliert hat. Dieser Ansatz betont, dass es bei der Entstehung komplexen Lebens nur einige wenige wesentliche Übergänge gab: als bakterielle Mikroben verschmolzen und dadurch zu ersten Einzellern mit Zellkernen wurden; als einige dieser Einzeller dauerhaft zu vielzelligen Tieren, Pflanzen, Pilzen und Algen wurden; und als einige Tiere – etwa Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten – sich zu staatenbildenden Superorganismen entwickelten. Doch die Konzeption der großen Übergänge in der Evolution wurde bisher noch nicht mit der Theorie der Gesamtfitness auf einer formalen Ebene verknüpft; es muss sich noch zeigen, ob die Kooperation von Individuen derselben Spezies mit der gleichen Theorie beschrieben werden kann wie Mutualismen, die zwischen Individuen verschiedener Arten stattfinden. Jedenfalls ist klar, dass die großen Übergänge immer mit grundlegenden Aspekten von Kooperation und Altruismus verbunden waren und dass man stabile Anpassungsergebnisse nicht verstehen kann, wenn man die Regulierung möglicher Fortpflanzungskonflikte nicht auch von den Grundbegriffen her versteht.
Die Schwerpunktgruppe wird verschiedene begriffliche und empirische Ansätze heranziehen, um unser allgemeines Verständnis jener Prozesse weiterzuentwickeln, durch die sich verschiedene Ebenen im System der Organismen evolutionär herausgebildet haben und durch die sie zu eigenständigen Einheiten der Auslese wurden, trotz der allgegenwärtigen zerstörerischen Kräfte innerer Konflikte.
Die Mitglieder der Schwerpunktgruppe sind: Jacobus J. (Koos) Boomsma (Convener), Ashleigh Griffin, Nancy A. Moran, Howard Ochman, David C. Queller und Joan E. Strassmann.
Jacobus J. (Koos) Boomsma
Köpfe und Ideen 2019
Gezähmte Konflikte
ein Porträt von Jacobus J. (Koos) Boomsma, Ashleigh Griffin, Nancy A. Moran, Howard Ochman, David C. Queller, Joan E. Strass... von Manuela Lenzen