Christoph Horn, Dr. phil.
Professor für Philosophie der Antike und Praktische Philosophie
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Arbeitsvorhaben
Kommentar zu Aristoteles' Metaphysik, bes. Buch Lambda (XII)
Aristoteles' Metaphysik ist eines der wichtigsten Bücher der westlichen philosophischen Tradition. Es stellt an seine Interpreten zugleich enorme Anforderungen. Aufgrund einer äußerst komplexen Forschungssituation sind national und international in den letzten Jahren nur Teilausgaben zur Metaphysik erschienen, so dass im Moment kein Gesamtkommentar existiert, der dem aktuellen Stand entspricht. In unserem Projekt einer Neukommentierung verbinden wir das Prinzip einer engen Kooperation mit einer grundsätzlichen Verantwortlichkeit jedes Bearbeiters für seine Partien des Werks. Meine Einzelkommentierung wird sich hauptsächlich auf Buch Lambda (XII) richten; in Kooperationsform werde ich aber auch an der Interpretation von Buch Zeta (VII) partizipieren. Gegenstand von Buch Lambda sind immaterielle, nicht-wahrnehmbare Substanzen und besonders eine erste, oberste, einfache und unteilbare Substanz; bei ihr soll es sich um etwas Ewiges, Invariantes und insofern um reine Aktualität handeln. Aristoteles postuliert deren Existenz ausgehend von einer allgemeinen naturphilosophischen Bewegungstheorie; Bewegung (in jenem weiten Sinn, der jede Zustandsänderung und auch Werden und Vergehen einschließt) verlangt nach einem unveränderlichen Erklärungsprinzip. Denkt man an Aristoteles' Verwerfung abgetrennter Platonischer Ideen und besonders der Idee des Guten, so ist seine eigene Ansetzung eines solchen unbewegten Bewegers natürlich von erheblichem Interesse - zumal diese als umfassende Finalursache des Kosmos und explizit als Gott bezeichnet wird. Der erste Beweger bildet nach Aristoteles das von allen Entitäten erstrebte Ziel und hält als Objekt allgemeinen Strebens den Kosmos in Bewegung; seine Eigentätigkeit scheint ausschließlich darin zu bestehen, sich selbst zu denken.Lektüreempfehlung
Horn, Christoph. Plotin über Sein, Zahl und Einheit: Eine Studie zu den systematischen Grundlagen der Enneaden. Stuttgart und Leipzig: Teubner, 1995. (Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 62.)
-, Hg. Augustinus: De civitate die. Berlin: Akademie Verlag, 1997. (Klassiker Auslegen, Bd. 11.)
Horn, Christoph und Christof Rapp, Hg. Wörterbuch der antiken Philosophie. München: Beck, 2002
Kolloquium, 18.05.2004
Wie kann man Selbstbewegung verstehen? Bemerkungen zu einer Diskussion bei Platon und Aristoteles
Einer der nächstliegenden und doch zugleich merkwürdigsten Begriffe der gesamten westlichen Philosophiegeschichte beruht auf der Idee, es gebe so etwas wie Selbstbewegung. Dass irgendwelche Entitäten die Ursache ihrer eigenen Bewegung (oder allgemeiner gesprochen: ihrer eigenen Veränderung) sein sollen, erscheint uns einerseits als pure Selbstverständlichkeit. Denn in tausenden von tagtäglich vorkommenden Fällen schreiben wir Menschen (und möglicherweise auch Tieren) Verhaltensweisen zu, für die wir sie selbst als Ursache ansehen. Sie - und nichts sonst - scheinen dasjenige zu sein, wovon die jeweilige Bewegung ausgeht. Andererseits wirkt es anstößig anzunehmen, es gebe etwas, das als unverursachte und erstursächliche Ursache anzusehen wäre, etwas, das den Abbruch einer Wirkungs- bzw. Erklärungskette notwendig, sinnvoll oder zumindest möglich machen würde. Doch genau ein solcher erster Anfang einer Ursachenkette wird im Begriff der Selbstbewegung unterstellt.
Die Ursprünge des Selbstbewegungsbegriffs sind nicht erst auf Platon, sondern bereits auf den Vorsokratiker Alkmaion von Kroton zurückzudatieren. Doch es ist Platon, der als erster vom Begriff einer Selbstbewegung einen ausgedehnten Gebrauch macht: nämlich im Phaidros, im Politikos und in den Nomoi. Der Phaidros verwendet diese Konzeption für einen Beweis der Unsterblichkeit der Seele; der Politikos greift auf sie zurück, um ein zentrales Theorieelement der Kosmologie zu stützen; und in den Nomoi bildet sie sogar das Rückgrat des ältesten Gottesbeweises der Philosophiegeschichte. So gesehen ist es keine Übertreibung zu sagen, dass Platon der Entdeckung des Selbstbewegungsbegriffs eine enorme Bedeutung beigemessen haben muss.
Auch Aristoteles macht einen ausgedehnten Gebrauch vom Begriff der Selbstbewegung. Aber prima facie ist es keineswegs einfach zu entscheiden, ob Aristoteles überhaupt positiv auf dieses Konzept zurückgreifen will oder ob er es nicht möglicherweise im Rahmen seiner Platon-Kritik verwirft. In Physik VIII entwickelt Aristoteles folgende Kritik: Er beruft sich auf das Theorem, wonach alles, was in Bewegung ist, wird durch etwas anderes bewegt werden müsse. Auf dieser Basis ergibt die Vorstellung von Selbstbewegung keinen guten Sinn mehr. Denn wenn irgendetwas etwas anderes bewegt (oder allgemeiner: verändert), dann überführt das Bewegende das Bewegte von einem Zustand der Potentialität (dynamis) in einen Zustand der Aktualität (energeia); dazu muss sich aber das Bewegende selbst in einem Zustand der energeia befinden. Das bedeutet jedoch: Damit sich etwas selbst bewegen könnte, müsste es sich einerseits von einer dynamis in eine energeia überführen lassen, und es müsste andererseits bereits energeia sein. Dies ist scheint bei ein und derselben Entität jedoch unmöglich zu sein. Denn nichts kann zugleich Potentialität und Aktualität sein, zumindest nicht zur selben Zeit und in derselben Hinsicht.
In der antiken Theoriegeschichte war es schließlich Sextus Empiricus, der aus dem theoretischen Dissens zwischen Selbstbewegungsbefürwortern und -gegnern als erster den Schluss zog, dass beide Seiten Unrecht haben und dass man die Welt weder durch Selbstbewegung noch durch Fremdbewegung erklären kann - eine Schlussfolerung, die in mancher Hinsicht an die Dritte Antinomie von Kants Kritik der reinen Vernunft erinnert.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Horn, Christoph (Frankfurt am Main, 2019)
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Suhrkamp Studienbibliothek ; 2
Horn, Christoph (Basel, 2018)
Grundriss der Geschichte ..., Die Philosophie der Antike, Philosophie der Kaiserzeit ... ; 2 Grundriss Antike
Horn, Christoph (Basel, 2018)
Grundriss der Geschichte ..., Die Philosophie der Antike, Philosophie der Kaiserzeit ... ; 1 Grundriss Antike
Horn, Christoph (Basel, 2018)
Grundriss der Geschichte ..., Die Philosophie der Antike, Philosophie der Kaiserzeit ... ; 3 Grundriss Antike
Horn, Christoph (München, 2008)
Lexikon der Ethik Beck'sche Reihe ; 152
Horn, Christoph (2005)
Horn, Christoph (2004)
Horn, Christoph ([s.l.], 2004)
Die Arche Noah des Wissens : die Metaphysik des Aristoteles : Alexander Kluge im Gespräch mit Christoph Horn 10 vor 11
Horn, Christoph (München, 2002)
Wörterbuch der antiken Philosophie Beck'sche Reihe ; 1483
Horn, Christoph (Frankfurt am Main, 2002)
Philosophie der Gerechtigkeit : Texte von der Antike bis zur Gegenwart Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 1563