Beate Rössler, Dr. phil.
Professorin der Philosophie
Universität Amsterdam
Sokrates-Professorin für die Grundlagen des Humanismus, Universität Leiden
Geboren 1958 in Heidelberg
Studium der Philosophie, evangelischen Theologie und Germanistik in Tübingen, Göttingen, London, Oxford und Berlin
Arbeitsvorhaben
Formen der Sozialkritik
Gegenstand des Projekts ist eine genauere Bestimmung und historische Verortung vorliegender Theorien von Gesellschaftskritik und ein systematisierender Vergleich zwischen ihnen. In der gegenwärtigen politikphilosophischen und sozialphilosophischen Theorielandschaft lassen sich typologisch drei Modelle unterscheiden, innerhalb derer - schematisch - derzeit Gesellschaftskritik diskutiert und betrieben wird. Sie werden hier charakterisiert mit den Begriffen der "Konstruktion", der "Rekonstruktion" und der "Dekonstruktion". Als Paradigmen können zum einen - "Konstruktion" ( der in der Kantischen Tradition stehende Entwurf von Rawls gesehen werden; zum zweiten - "Rekonstruktion" - der auf Hegel und Marx zurückführbare Ansatz von Theoretikern wie Habermas (und, auf andere Weise, auch Taylor); zum dritten schließlich - "Dekonstruktion" - die auf Nietzsche zurückgehende genealogische Kritik bei Autoren wie Foucault oder auch Judith Butler. Die Differenzierung dieser drei Modelle versteht sich als hypothetische, heuristische Typologie und bezieht sich insbesondere auf die Frage der Begründung und Entwicklung der jeweiligen Kritikansprüche. Gefragt werden soll dabei ebenfalls, ob sich diese typologische Unterscheidung auch auf soziologische Gegenwartsdiagnosen und Sozialkritik beziehen lässt. Ziel ist die Erarbeitung eines framework für Sozialkritik, das Elemente der rivalisierenden Traditionen hin auf eine neue Lösung synthetisiert.Lektüreempfehlung
Rössler, Beate. Der Wert des Privaten. Frankfurt: Suhrkamp, 2001. (Englische Übersetzung bei Polity Press, in Vorbereitung.)<br>
-. "Problems with Autonomy." Hypatia 17, 4 (2002).
-, ed. Privacies: Philosophical Evaluations. Stanford University Press, 2003 (mit Beiträgen von Anita Allen, Axel Honneth, Krishan Kumar, Nicola Lacey, Jeff Reiman, Iris Young u.a.), (im Druck.)
Kolloquium, 15.06.2004
Kritik und Erfahrung
Gegenwaertige gesellschaftskritische Entwuerfe sehen sich vor ein Problem gestellt, das fuer Marx so noch gar nicht existierte: das Problem naemlich, an welche Unrechts- oder Unterdrueckungserfahrungen die Kritik anknuepfen soll, auf wen sie sich beziehen soll. Marx wusste noch ganz genau: das Proletariat als Klasse ist das Subjekt, an dessen Unterdrueckungserfahrungen angeknuepft werden muss, das den sozialen Ort der Sozialkritik und den Träger des gesellschaftlichen Fortschritts repräsentiert.
Diese Sicherheit ist uns abhanden gekommen. Heutige Gesellschaftskritiken muessen begruenden, welche Rolle Erfahrungen von Subjekten in der Gesellschaftskritik ueberhaupt spielen sollen. Diese Frage scheint grundlegend fuer eine angemessene Konzeption von emanzipatorischer Gesellschaftskritik aus zwei Gruenden. Zum einen deshalb, weil es mit dieser Frage auch um die Begruendung der kritischen Standards geht: muessen wir uns in der Begruendung der Kritik direkt auf die subjektiven Leidens- oder Unrechtserfahrungen von Subjekten beziehen. oder koennen wir die Kritik vernuenftig begruenden, mittels Normen und Prinzipien, die wir gleichsam unabhaengig von konkreten gesellschaftlichen Erfahrungen fuer richtig befinden koennen?
Zweitens deshalb, weil, wenn man den Erfahrungen der Subjekte einen zentralen Stellenwert zuweist, ein zweiter Aspekt für kritische Gesellschaftsdiagnosen eine zentrale Bedeutung bekommt: um welche Erfahrungen genau geht es und muss es gehen? Wie schwierig diese Frage zu beantworten ist, kann man spaetestens seit den kritischen Theorien der total verwalteten Welt und des von ihnen diagnostizierten objektiven Scheins, des falschen Bewusstseins begreifen: wenn unsere Erfahrungen in der Gesellschaft tatsaechlich systematisch verzerrt und verstellt werden, dann waere fraglich, ob Unrechts- oder Leidenserfahrungen ueberhaupt als solche noch authentisch artikuliert werden koennten. An welchen Erfahrungen könnte Gesellschaftskritik unter solchen Bedingungen noch anknüpfen?
Die Hoffnung ist also, dass mit einer Analyse der Relation zwischen Kritik und Erfahrung Aufschluss darueber gewonnen werden kann, wie sich die emanzipatorische Kritik in der Gesellschaft selbst verankert und wie sie ihre kritischen Masstäbe ausweisen kann. Ich werde verschiedene Theorien ueber die Beziehung zwischen Kritik und Erfahrung diskutieren und dabei versuchen, Ansaetze eines plausiblen Kritikmodells zu entwickeln. Subjektiven Erfahrungen ist dabei jedoch nicht wirklich zu trauen: denn (viele) Erfahrungen, auch das werde ich versuchen zu zeigen, sind trügerisch.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rössler, Beate (Frankfurt am Main, 2008)
Von Person zu Person : zur Moralität persönlicher Beziehungen Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 1756
Rössler, Beate (Cambridge, 2007)
Work, recognition, emancipation
Rössler, Beate (Cambridge, 2005)
The value of privacy Der Wert des Privaten <engl.>
Rössler, Beate (2004)
Gender and privacy: a critique of the liberal tradition
Rössler, Beate (2004)
Rössler, Beate (Stanford, Calif., 2004)
Privacies : philosophical evaluations Cultural memory in the present
Rössler, Beate (Frankfurt am Main, 2001)
Der Wert des Privaten Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 1530
Rössler, Beate (1994)
Von den semantischen Grenzen der Welt
Rössler, Beate (1993)
Quotierung und Gerechtigkeit : ein Überblick über die Debatte
Rössler, Beate (Frankfurt/Main [u.a.], 1993)
Quotierung und Gerechtigkeit : eine moralphilosophische Kontroverse Theorie und Gesellschaft ; 29