Anna Konik
Bildende Künstlerin
Warschau & Dobrodzien
Geboren 1974 in Lubliniec, Polen
Studium der Bildhauerei an der Akademie der Schönen Künste, Warschau
Fellowship
Andrew W. Mellon-Fellow
Arbeitsvorhaben
"Ein Tag - ein ganzes Leben. Irenes Geschichte", Arbeitstitel für eine Videoinstallation
Das Projekt, auf das ich mich während meines Forschungsaufenthaltes am Wissenschaftskolleg zu Berlin vor allem konzentrieren möchte, ist eine direkte Fortsetzung meiner früheren Videoinstallationen: Toys, Przezroczystosc /Transparency, In the Middle of the Way (work in progress) oder Our Lady's Forever, die das Problem der Entfremdung, differenter Sensibilitäten und der Einsamkeit berühren. Das Leitmotiv meiner jüngsten Videoarbeit wird der Begriff/die Erfahrung des Todes sein. Die Projektgrundlage bildet die Geschichte von Irene, einer Alpinistin, die einen Absturz in den Hochalpen überlebte. Sie berichtet von ihren "letzten" Gedanken, den gesehenen Bildern und über die zurücklaufende Zeit ... Eine detaillierte Beschreibung der Situation und der Bericht ihres Sohnes werden die Projektachse bestimmen.Die reflexive Poetik der Projekte offenbart nicht nur intime Episoden individueller und gesellschaftlicher Geheimnisse, sondern rückt das Vorhandensein von Bereichen ins Bewusstsein, die einem oberflächlichen Blick unzugänglich sind. Die erzählte Geschichte verfügt über keinen festgelegten Anfangs- und Endpunkt, jedes folgende Projekt ist eine Fortsetzung und eine Weiterentwicklung des vorangegangenen. Zwei unterschiedliche Blickperspektiven kreieren einen emotionalen und einen architektonischen Raum. Dieser erzählende Teil wird mit weiteren beobachteten/ergänzenden Bildern verbunden. Die Filmstruktur wird den Charakter einer Retrospektive, einer Handlung mit wechselnden abstrakten Assoziationen haben und wird in schwarz/weiß gehalten sein. Die Assoziationen begleiten kreierte Klänge und Räume, das Bild an sich hingegen kann simultan auf mehrere Leinwände projiziert werden. Diese Konstruktion verleiht dem Projekt Eigenschaften einer Vision in Verbindung mit quasi dokumentarischen Elementen.
Lektüreempfehlung
Our Lady's Forever. Ausstellungskatalog herausgegeben von Ewa Witkowska. Warschau: Zacheta National Gallery of Art, 2007.
Przezroczystosc/Transparency. Ausstellungskatalog herausgegeben von Ewa Gorzadek. Warschau: Centre for Contemporary Art Ujazdowski Castle, 2004.
New Phenomena in Polish Art After 2000, herausgegeben von Grzegorz Borkowski, Adam Mazur und Monika Branicka. Warschau: Centre for Contemporary Art Ujazdowski Castle, 2007.
Approaching the Other - Observation and Intervention, Xth Biennial Exhibition of Art. In View of Values, herausgegeben von Stanislaw Ruksza. Kattowitz: Galeria Sztuki Wspólczesnej BWA, 2006.
Weitere Informationen unter: www.annakonik.art.pl
Kolloquium, 23.10.2008
Mehr oder weniger von Außen: Videoarbeiten 2000 - 2007
Anna Konik schafft Videoinstallationen, und in ihrer Technik kombiniert sie Halbdokumentarisches, Installationen, Performances und Skulpturen. Was für sie zählt, sind Menschen, denen sie sich emotional verbunden fühlt und die sie zu den Protagonisten ihrer Arbeit macht.
Anna Koniks künstlerische Sensibilität ist durch ihre Erfahrung mit alternativem Off-Theater sehr geprägt worden. Doch das Theaterspielen ist nicht mehr das natürliche Element ihrer Kunst - das Wichtige liegt außerhalb der Schauspielerei: die Suche nach echten menschlichen Beziehungen. So arbeitete sie z. B. für eine Opera Buffa mit Schizophreniepatienten zusammen und ging mit Menschen um, die zwar an ihrer Geisteskrankheit sehr litten, aber gleichzeitig ungewöhnlich sensibel waren.
Es ist sehr schwierig, den Bereich zu verbalisieren, in dem Konik operiert. Das Material ihrer Arbeit ist das Unsichtbare und dennoch Wahrnehmbare - Wünsche, Gefühle, undefinierbare Intuitionen; eine innere Welt, die nur durch Träume, poetische Vorstellungskraft und geistige Introspektion zugänglich wird; seelischer Schmerz und der stille Kampf damit. Oft sehen die anderen die Tragödie nicht, die sich hinter den Kulissen entwickelt, hinter dem Vorhang, in den verborgenen Gedanken eines Menschen, seinen Träumen und Wünschen.
Konik lenkt die Aufmerksamkeit ihres Publikums auf jene Aspekte und Sphären der Existenz, die man nicht anerkennen will: Einsamkeit, Verwirrung, Krankheit, Überempfindlichkeit. Ihre Protagonisten sind Menschen, die an den Rändern der Realität leben, unauffällig und manchmal vollkommen durchsichtig. Dies sind die Menschen, die für sie zählen.
Hinsichtlich der Form spielt der Raum eine wichtige Rolle in Koniks Arbeiten. "Der Raum definiert und ergänzt meine Arbeiten zusätzlich mit seinem Körper'", sagt sie. "Er ist auch von metaphysischer Bedeutung. In "Transparency" ist jede Erzählung, ob in Worten, Bildern oder im Raum erzählt wird, vollkommen isoliert. In meinem Projekt "In the Middle of the Way" werden die Erzählungen gleichzeitig gezeigt, so dass die körperliche und geistige Reise praktisch niemals endet."
Die Geschichten, die von den gesellschaftlich Ausgeschlossenen erzählt werden, nehmen oft die Form von Beichten an - in "In the Middle of the Way" (einer im Entstehen begriffenen Arbeit, die sie 2001 angefangen hat) spricht die Künstlerin mit obdachlosen Menschen; in "Transparency" (2004) hört sie den Lebensgeschichten einsamer alter Menschen zu; in "Toys" (2001) dokumentiert sie die Arbeit in und außerhalb eines Therapiezentrums auf Video. Die Dialoge und Interviews verliehen ihrer Arbeit einen quasi-dokumentarischen Charakter - manchmal bricht die Erzählung abrupt ab, und der Dialog macht Platz für die empathische Präsenz eines Einzelnen.
Die Künstlerin wird unsichtbar, damit andere reden können. Dies ist z. B. bei Transparency der Fall, einer Videoinstallation, die im Warschauer Centre for Contemporary Art (CCA) im Schloss Ujazdowski 2004 gezeigt wurde. Die Protagonisten sind alte Menschen die sich dem Ende ihrer Tage nähern und sich bereit erklärten, ihre Lebensgeschichten vor der Kamera zu erzählen. Sie heißen Doris Wichmann, Mia, Tadeusz und Herr Brozy. Das Videobild jedes Interviewpartners wird verdoppelt, und so wird der Monolog zu einem bizarren Dialog mit dem eigenen Doppelgänger. Das Ganze läuft auf eine Improvisation über den Schmerz der Einsamkeit hinaus. Aber das Spiegelbild und das variierte Tempo der Projektion kann die lähmende Monotonie des Diskurses nicht überwinden, der voll von ständigen Wiederholungen ist. "Nur eine einzige Überraschung ist möglich", sagt Konik und zitiert ein Essay des Literaturwissenschaftlers Jan Blonski über Beckett, "und zwar die, dass eine der Wiederholungen die letzte sein wird." 1
Koniks Protagonisten sind ewige Wanderer, obdachlose Tippelbrüder, die der Künstlerin auf den Straßen von Warschau, Berlin, Moskau, Cleveland begegnen und die vom Leben gezwungen werden, ständig unterwegs zu sein. Andere reisen im Land der Phantasie, leben in ihren Erinnerungen und sind eingeschlossen in ihren vier Wänden, außerhalb der Zeit. Neben dem Motiv der Einsamkeit ist das Reisen, ständig unterwegs sein, ein weiteres Motiv in Koniks Werk. Dies gilt nicht nur das Reisen durch den Raum, sondern auch für das Reisen in der inneren Zeit, die spirituellen Reisen...
Koniks jüngste Arbeit, "Our Lady's Forever" (2007), ist ihr bisher poetischstes Werk. Es wurde von einem Stück angeregt, das von einem Schizophreniepatienten geschrieben wurde, die Geschichte einer unglücklichen Liebe, endloser Sehnsucht und ...endlosem Warten. Das Video, das auf diesem Drama basiert, machte Konik in Cork (Irland), und zwar in Our Lady's, einer ehemaligen psychiatrischen Klinik, deren Architektur die Geschichte visuell ergänzt. Das Video ist eine Projektion auf sieben Kanälen ohne Anfang oder Ende. Die Protagonisten sind ein Mann und eine Frau, die niemals zusammen auftauchen, sondern kreuz und quer durch die verschiedenen Szenen laufen. Von der Zeit suspendiert sind sie wie Figuren aus einem Stück Becketts und bewegen sich wie Geister durch die leeren Räume und Korridore, auf der Suche nach einander. Obwohl sie am selben Ort sind, konstituieren sie zwei getrennte Universen und bewegen sich allein durch die leeren Räume. Die wandernden Schatten intensivieren die somnambule Atmosphäre, die Erzählung bricht ab, die Szenen ordnen sich selbst zu Sequenzen von poetischen Bildern: die Frau steht gegenüber einer weißen Wand, Licht dringt in den Raum, der Mann sitzt auf einem Stuhl, lächelnde Kinder halten sich bei den Händen. Die wechselnden Bilder bilden ein bizarres Puzzle, als solle der emotionale Zustand der Protagonisten widergespiegelt werden, ihre wiederholten Passagen durch die Hölle ihrer Seelen. Die Szenen aus dem verlassenen Krankenhaus werden von Bildern eines Schiffs auf aufgewühlter See begleitet, die sich bis zum Horizont erstreckt. Während wir diese Sequenzen sehen, hören wir das Rauschen des Meeres und können die Windböen auf dem Gesicht beinahe fühlen.
Auf ihren künstlerischen wie existentiellen Reisen ist für Konik die Interaktion mit ihren Mitmenschen am wichtigsten. Wir begegnen in ihrem Werk weder einer Verherrlichung des Leidens noch dem Voyeurismus, der für solche Dokumentarfilme typisch ist. Konik erniedrigt diese Menschen nicht, und manipuliert sie auch nicht; vielmehr hilft sie ihnen oft durch ihre Arbeit, das Gefühl ihrer eigenen Würde wiederzuerlangen. Provokation wird durch Mitgefühl ersetzt, und das Gespräch eliminiert die Distanz; damit wird die unsichtbare Wand abgetragen, die die Protagonisten von der Welt trennt, und sie können sich aufs Neue mit der Welt bekannt machen.
Text von Sabina Sokolowska, erschienen in "New Phenomena in Polish Art after 2000", hrsg. v. Grzegorz Borkowski, Adam Mazur und Monika Branicka (Warsaw: Centre for Contemporary Art, Ujazdowski Castle, 2007)
1 Zit. n. Jean-Baptiste Joly, "Transparency" (Warsaw: Centre for Contemporary Art,Ujazdowski Castle, 2004) S. 28.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Konik, Anna (Warszawa, 2016)
A grain of sand in the pupil of the eye
Konik, Anna (Warsaw, 2016)
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In the same city, under the same sky ...
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Konik, Anna (Berlin, 2010)
Projektraum DOR 28 - Video als Raum
Konik, Anna (Warszawa, 2007)
Anna Konik : our lady's forever ; [16.06 - 05.08.2007, Zachęta Narodowa Galeria Sztuki, Warszawa] Katalog wystawy