Christiane Kruse, Dr. phil. habil.
Kunstgeschichte
Philipps-Universität Marburg
Geboren 1961 in Walsrode, Niedersachsen
Studium der Kunstgeschichte, Mediävistik und Neueren deutschen Literatur an der Georg-August-Universität Göttingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München
Arbeitsvorhaben
Dis/Simulatio. Die Kunst der Maske, Täuschung und Verstellung im Barock
Das Projekt untersucht Bedeutungen, Funktionen und Formen der Dis/simulatio, Maske, Maskerade, der Täuschung und der Verstellung in der Bildkultur des europäischen Barock. Es geht um das Verständnis der Dis/simulatio etc. als einer Kulturtechnik sui generis sowie um eine Bild- und Kunstgeschichte der Dis/simulatio, die aus ihrer vielfältigen visuellen Bildpraxis gewonnen werden soll. Maske, Täuschung und Verstellung werden an ihren gesellschaftlichen Funktionsorten, die höfisch geprägt sind, aufgesucht und kontextualisiert. Es werden Bilder und Texte untersucht, die das visuelle Feld der Maske, des Maskierens und Schminkens sowie die Verstellung, Täuschung, Lüge und List zum Gegenstand haben. Diese finden sich in nahezu allen Teilbereichen der barocken Kultur: in Porträts, Allegorien, Personifikationen, mythischen Geschichten sowie in Darstellungen von Festen, des Karnevals und des Theaters, aber auch in der Kunsttheorie, der Emblematik, den Rhetoriklehren, den Poetiken, in Komödien, der Dichtung und der Philosophie und in Fürstenlehren, Zeremonialbüchern, Kostümordnungen etc. Das Thema ist zeitlich mit dem Aufkommen der Dis/simulatio um 1500, der Kritik an Maske und Verstellung seitens der Aufklärung und der Reformulierung von Maske und Verstellung in der beginnenden Moderne strukturiert.Lektüreempfehlung
Kruse, Christiane. "Malerei ist weiblich: Maske und Maskerade in Pictura-Allegorien des 17. Jahrhunderts." In Wir sind Maske [Wien, Museum für Völkerkunde, 24. Juni bis 28. September 2009], herausgegeben von Sylvia Ferino-Pagden, 316-325. Milano: Silvana, 2009.
-. "Parer viva oder die Kunst der (dis)simulazione im Barock. Ovid - Bernini - Marino." In Skulptur zwischen Realität und Virtualität, herausgegeben von Gundolf Winter, 155-176. München: Fink, 2006.
-. Wozu Menschen malen: Historische Begründungen eines Bildmediums. München: Fink, 2003.
Kolloquium, 10.05.2011
Bildstrategien der Dis/simulatio - und die Kunst der Maske, Verstellung und Täuschung im Barock
Der Künstler genießt es
ein Täuscher zu sein... (Emanuele Tesauro)
Unter den Künstlern der Frühen Neuzeit ist Michelangelo derjenige, der sich als erster in besonderem Maße für die Kunst der Maske, der Verstellung und Täuschung interessiert hat. Berühmt ist die Maske der Notte (Nacht) am Sarkophag Giulianos de' Medici in der Neuen Sakristei von San Lorenzo zu Florenz, in deren Grimasse man außer einer Allegorie der täuschenden Gestalt von Träumen auch ein Selbstporträt des Künstlers gesehen hat. Im Zentrum meines Projekts steht aber nicht nur das Masken-Motiv als Index für Täuschung, Verstellung und ästhetischen Schein. Vielmehr möchte ich gewissermaßen hinter die Maske schauen und sie dort aufsuchen, wo sie zwar anwesend ist, sich aber nicht zeigt, d. h. unsichtbar ist und daher umso effektiver das Spiel von Täuschung, Verstellung, List, Schein etc. gespielt werden kann. Es geht um verschiedene Bildstrategien der Dis/simulatio und die Kontexte ihrer Funktionsorte in der europäischen Hofkultur des 16.-18. Jahrhunderts. Die Bilder zeigen entweder Figuren aus dem Mythos oder der Bibel, aber auch wahrsagende Zigeuner und Falschspieler, die Verstellung, Betrug oder Täuschung als Kunst betreiben. Oder die Bilder selbst verhehlen in perfekten Trompe-l'œils ihre Täuschungsintention. In allen Fällen wird Dis/simulation nicht nur als eine spezifische Qualität der Bildkünste deutlich, sondern vor allem als ein hermeneutisches Problem sui generis. Zum Bildkonzept der Dis/simulation gehört die konsequent verfolgte Strategie, einen Rezipienten davon zu überzeugen, das etwas ist, was so, wie es erscheint, nicht da ist.
Mit den beiden Bildbeispielen, die ich in meinem Vortrag vorstelle, möchte ich Sie in die bildhermeneutische Problematik des Projekts sowohl unter historischen als auch systematischen Aspekten einführen. Beide Bilder, Caravaggios Cupido dormiente und Antonie van Steenwinkels Selbstporträt, führen auf je unterschiedliche Weise Bildstrategien des Zeigens und Verbergens vor, die ein disparates Bildverständnis provozieren. Die konträren Deutungen, die beide Gemälde seitens der Kunstgeschichte erfuhren, so möchte ich zeigen, sind Bildstrategien der Dis/simulation und machen ein komplexes, dichtes Gewebe concettistischen Denkens in und mit Bildern sichtbar. Ich möchte zeigen, wie diese Bilder, indem sie den Visus schärfen, den Intellekt, das Denken und den Diskurs mit, in und über Bilder(n) in Bewegung setzen und beweglich halten.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Kruse, Christiane (Berlin, 2020)
Welterschaffung - Kunstvernichtung : Kunst in Zeiten der Bilder
Kruse, Christiane (Wiesbaden, 2014)
Maske, Maskerade und die Kunst der Verstellung : vom Barock bis zur Moderne Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung ; 52
Kruse, Christiane (2014)
"Non sia chi ad amor creda" : von der Kunst der Liebe, der List und der Täuschung
Kruse, Christiane (2014)
Einleitung : Maske, Maskerade und die Kunst der Verstellung ; vom Barock bis zur Moderne
Kruse, Christiane (Wiesbaden, 2013)
Barocke Bildkulturen : Dialog der Künste in Giovan Battista Marinos "Galeria" ; [der Band geht auf die gleichnamige, 2006 an der Herzog-August-Bibliothek abgehaltene Tagung zurück ...] Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung ; Bd. 48
Kruse, Christiane (München, 2010)
Imagination und Repräsentation : zwei Bildsphären der Frühen Neuzeit Reihe Kulturtechnik
Kruse, Christiane (Mainz, 2009)
La galeria : zweisprachige Auswahl ; (italienisch - deutsch)
Kruse, Christiane (2007)
Tote und künstliche Haut : die Maske des Stars zwischen Kunst und Massenmedien
Kruse, Christiane (2007)
Nach den Bildern : das Phantom des transikonischen Bildes
Kruse, Christiane (2005)
Ars latet arte sua : zur Kunst des Kunstverbergens im Barock