Gábor Demszky, Dr.
ehemaliger Oberbürgermeister von Budapest, 1990-2010
Budapest
Geboren 1952 in Budapest
Studium der Rechtswissenschaften an der Eötvös Loránd Universität Budapest
Arbeitsvorhaben
Stadtpolitik in Budapest 1990-2010
Mit der politischen und ökonomischen Wende 1989/90 kam es in Ungarn zu einer starken Dezentralisierung des staatlichen Verwaltungssystems. Auf der Grundlage der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltungen entstanden in den Gemeinden Selbstverwaltungen mit einem breiten Verantwortungsbereich und selbständiger Wirtschaftshoheit. Das sich dynamisch entwickelnde wirtschaftliche und politische Umfeld ermöglichte die Ausarbeitung und Realisierung von völlig neuen lokalen Strategien.Als Oberbürgermeister von Budapest konnte ich zwei Jahrzehnte lang dabei mitwirken, wie in diesem Rahmen zahlreiche Projekte auf dem Gebiet der Bildung, der Sozialpolitik, der Chancengleichheit sowie des kulturellen Mäzenatentums in Gang zu setzen. In den vergangenen Jahren wurde diesem Stadtbewirtschaftungsprojekt unter dem Namen "Budapester Modell" in Fachkreisen große Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil.
Das Ziel der neuen Haushaltsstrategie des Budapester Modells bestand darin, einen nachhaltigen und ausgeglichenen Haushalt zu etablieren. Dazu wurde ein Sieben-Jahres-Plan für die Finanzierung und eine darauf aufbauende flexible Haushaltsplanung erstellt. Es entwickelte sich eine Praxis, detaillierte mittelfristige Ressourcenprognosen zu erstellen und die Haushaltsplanung auf der Basis dieser Voraussagen vorzunehmen. Als Folge der finanziellen Flexibilisierung kam es zu einer untrennbaren Verknüpfung von Haushaltsplanung und Entwicklungstätigkeit. Es wurde möglich, die Notwendigkeit von grundsätzlichen Entscheidungen zu rechtfertigen (wie z. B. Privatisierungen, Rationalisierung, Erfolgskontrolle usw.). Die Ausgaben wurden transparenter, besser planbar und effizienter, und der Haushalt wurde ausgeglichener und stabiler.
Die Ziele der Selbstverwaltung mitsamt ihren Spielräumen festzuschreiben, übte eine starke Wirkung auf die Strategie der Stadtentwicklung aus. 2003 nahm die Vollversammlung von Budapest das "Konzept der Stadtentwicklung" mit großer Mehrheit an, gefolgt von einem mittelfristigen Entwicklungsprogramm der Stadt im Jahre 2005, dem sogenannten "Podmaniczky-Programm". Das erste Grundsatzprogramm umreißt auf längere Sicht den konzeptionellen Rahmen der Stadtentwicklung, während im zweiten Programm die gemäß der Haushaltshaltsplanung der Europäischen Union bis 2013 zu verwirklichenden Entwicklungsvorhaben zusammengefasst sind.
Als Fellow des Wissenschaftskollegs habe ich vor, diese Reformprogramme in ihrer Gesamtheit zu analysieren und darzustellen.
Lektüreempfehlung
Demszky, Gábor. Keleti éden: szamizdat apámnak [Das Paradies im Osten]. Budapest: Noran, 2008.
-. A szabadság visszahódítása [Die Rückeroberung der Freiheit]. Budapest : Új Mandátum Könyvk, 2001.
-, Hg. "Szamizdat 81-89". Hírmondó. Budapest: AB-Beszélo Kft, 1990.
Pallai, Katalin. Hg. The Budapest Model. A Liberal Urban Policy Experiment. Budapest: Open Society Institut, Local Government and Public Service Reform Initiative, 2003.
Kolloquium, 17.04.2012
Das Budapester Modell 1990 - 2010
Unser Erbe aus der Ära des Sozialismus bestand 1990 aus einem Staatsbankrott und einer Wirtschaftskrise. Als ich mein Amt als Bürgermeister von Budapest antrat, betrug der Kontostand der Stadt magere 60 Millionen HUF (etwa 200.000 Euro), und es gab keine Investitionspläne. Die meisten unserer Probleme glichen denen russischer oder südamerikanischer Städte: eine verfallende Industrie, massenhafte Verarmung, mehrere zehntausend Menschen ohne Obdach, weil die Arbeiterwohnheime geschlossen worden waren. In den ersten Jahren des freien Budapest bestand unsere Hauptaufgabe darin, den Zusammenbruch der öffentlichen Infrastruktur abzuwenden.
1990 waren wir so glücklich darüber, das zentralisierte System des Sozialismus endlich loszuwerden, dass wir uns für eine vollständige Dezentralisierung entschieden. Wir richteten 22 Bezirke mit umfassenden Funktionen und vollständiger städtischer Autonomie ein. Heute würden wir wahrscheinlich ein anderes Modell wählen, denn die Überdezentralisierung hatte ernsthafte Folgen. Aber als wir 1990 die Stadtregierung übernahmen, gab es nur eines, das wir sicher wussten: dass wir Budapest in eine europäische Metropole verwandeln wollten, die des Zeitalters würdig war. Die Nachwelt wird entscheiden, wie viel wir davon erreicht haben.
In den letzten 20 Jahren ist die Entwicklung in Budapest viel schneller vorangeschritten als im Rest des Landes. Zur Zeit der Wende war das BSP pro Kopf in Budapest doppelt so hoch wie in anderen Landesteilen. Zur Jahrtausendwende war es zweieinhalbmal so hoch, derzeit ist es dreimal so hoch. Das Pro-Kopf-BIP in der ungarischen Hauptstadt übertrifft den europäischen Durchschnitt um 45%; d. h., ein Bürger Budapests produziert für das Land genauso viel wie ein italienischer oder deutscher Bürger für sein Land. (Derzeit ähneln unsere Probleme denen westeuropäischer Städte: die Reduktion des Verkehrs, die Reduktion der Autos an öffentlichen Orten etc.)
Lassen Sie uns also betrachten, wie all dies möglich war. Ich bin überzeugt, dass es dank der Einführung eines neuen Planungs- und Wirtschaftsmodells möglich wurde. Die Methoden zur Lösung stadtpolitischer Probleme, die von der Stadtverwaltung in den letzten 20 Jahren entwickelt wurden, nennen wir das Budapester Modell. Es ist das Ergebnis einer postsozialistischen Anpassungsphase. Dieses Wirtschaftssystem könnte für die westliche Welt von Interesse sein, denn mit seinen Geschäfts- und Bankbeziehungen passte sich Budapest erfolgreich an die Welt der Marktwirtschaft und einer Mehrparteiendemokratie an. Für die östliche Welt, für kommunale Verwaltungen und ihre Bürgermeister könnte es von Interesse sein, weil sie selbst mit Ressourcenproblemen zu kämpfen haben. In den letzten 20 Jahren galt Budapest als kreditwürdig und als guter Schuldner. Wie macht Budapest das? (Wie Shakespeares Jago sagt: "Besorge Geld" - wie?)
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Demszky, Gábor (Berlin, 2012)
Demszky, Gábor (2012)
Demszky, Gábor (S.l, 2012)
Die alte Samisdat-Kultur und die neue Opposition in Ungarn
Demszky, Gábor (Berlin, 2012)
A liberal urban policy experiment : (Budapest, 1990-2010)
Demszky, Gábor (Budapest, 2012)
Elveszett szabadság : láthatatlan történeteim
Demszky, Gábor (Budapest, 2012)
Elveszett szabadság : személyes történelem
Demszky, Gábor (2010)
Húsz év - egy suabad város élén
Demszky, Gábor (Budapest, 2010)
Budapest 1990 - 2010 : 20 Jahre einer freien Stadt
Demszky, Gábor (Budapest, 2010)
Budapest, 1990 - 2010 : egy szabad város 20 éve