Martin von Koppenfels, Dr. phil.
Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geboren 1967 in München, Deutschland
Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Hispanistik, Latinistik und Philosophie an der University of Virginia, der Universität Barcelona und der Freien Universität Berlin
Arbeitsvorhaben
Poetik des Alptraums
Gibt es eine Poetik des Alptraums? Der Begriff "Traumpoetik" ist als solcher in der Literaturwissenschaft durchaus gängig: Bestimmte Charakteristika poetischer Texte sind - mit guten psychologischen Gründen - immer wieder von denen des Traums abgeleitet worden. Kulturelle Allianzen zwischen Traum und Dichtung, wie sie beispielsweise in der Frühromantik oder im Surrealismus propagiert wurden, sind ein fester Bestandteil zumindest des westlichen Literaturbegriffs geworden. Aber schließen diese Bezüge auch jene affektiv extremen und sowohl phänomenologisch als auch klinisch von anderen Träumen unterscheidbaren Erfahrungen ein, die wir mit einem halbmythologischen Begriff als "Alpträume" bezeichnen? Das vorliegende Projekt verfolgt die Hypothese, dass dies in der Tat so ist, und geht den Konsequenzen nach, die diese Annahme für die Bestimmung der emotionalen Funktion literarischer Texte hat. Von besonderer Bedeutung ist dies für die Theorie der Tragödie, die hier als alptraum-affine Gattung in Betracht kommt. Die These hat jedoch im Gegenzug auch Konsequenzen für die Psychologie des Traums, die ebenfalls darum ringt, den Alptraum in ihre Konzepte zu integrieren (Beispiel: Freuds meist nur implizit geführte theoretische Auseinandersetzung mit diesem Traumtyp). Das Projekt wird daher auch einzelne Kapitel aus der Kultur- und Wissensgeschichte des Alptraums beleuchten sowie die poetische Faktur bestimmter historisch prominenter Traumbeispiele analysieren.Lektüreempfehlung
Koppenfels, Martin von. Schwarzer Peter: Der Fall Littell, die Leser und die Täter. Göttingen: Wallstein, 2012.
-. Immune Erzähler: Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans. München: Wilhelm Fink, 2007.
-. Introducción a la muerte. La poesía neoyorquina de Lorca y el duelo de la lírica moderna. Kassel: Edition Reichenberger, 2007.
Kolloquium, 15.03.2016
"Those terrible dreams that shake us nightly": Annäherung an eine Poetik des Alptraums
Dass Literatur- und Traumforschung sich wechselseitig füreinander interessieren, ist keine große Neuigkeit. Bestimmte Charakteristika poetischer Texte sind immer wieder zu Eigenschaften des Traums in Beziehung gesetzt, ja sogar von ihnen abgeleitet worden. Aber schließen diese Bezüge auch jene verstörenden und phänomenologisch von anderen Träumen unterscheidbaren Erfahrungen ein, die wir mit einem halbmythologischen Begriff als "Alpträume" bezeichnen? Gibt es also nicht nur eine 'Poetik des Traums' sondern auch eine des Alptraums? Unter den klassischen literarischen Gattungen bietet sich vor allem die Tragödie als ein Gegenstand an, anhand dessen sich diese Frage diskutieren lässt. Einen ersten Ansatzpunkt bietet die Beobachtung, dass manifeste Darstellungen 'schlimmer Träume' in der Tat ein Standardmotiv des tragischen Theaters bilden.
Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Tragödienpoetik und Alptraumpsychologie könnte unter Umständen einen neuen Zugang zu einem der Kernprobleme der Poetik eröffnen: der seit Aristoteles diskutierten Frage nach der Verarbeitung negativer Affekte, namentlich von Angst, in literarischen Texten - was in philosophischen Kontexten gelegentlich als "Tragödienparadox" bezeichnet wird. Literaturwissenschaftler, die sich mit diesem vermeintlichen Paradox befassen, sind mit einem ähnlichen Rätsel konfrontiert wie die Erforscher von Alpträumen: mit scheinbar überflüssigen Szenarien der Angst, die sinnlos hinzukommen zum reichhaltigen Angstangebot der Alltagswirklichkeit - und zwar ohne Not, ja, im Gegenteil, gerade an "sicheren Orten" (Ernest Hartmann), die der Einzelne angeblich aufsucht, um den Realitätsbezug vorübergehend zu lockern: im Schlaf ebenso wie in der Beschäftigung mit dramatischen und anderen Fiktionen. Ich möchte der These nachgehen, dass dies mehr als eine Analogie ist, dass vielmehr zwischen dem Problem des Alptraums und dem der negativen Emotionen im tragischen Theater ein funktionaler Zusammenhang besteht; und dass dieser Zusammenhang dabei helfen kann, die Symbolisierungsarbeit zu verstehen, die literarische Texte auf dem Feld der negativen Affekte leisten.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Koppenfels, Martin (Würzburg, 2018)
Alptraum und Geschichte : Richard III
Koppenfels, Martin (2015)
"Macbeth": die Tragödie des Schlafs
Koppenfels, Martin (2015)
Koppenfels, Martin (Berlin, 2015)
Infame Perspektiven : Grenzen und Möglichkeiten von Performativität und Imagination Theater der Zeit. Recherchen ; 119
Koppenfels, Martin (2014)
Gibt es eine Poetik des Alptraums?
Koppenfels, Martin (2013)
Koppenfels, Martin (Stuttgart, 2012)
Ein Schloss am Meer : Freuds Traum vom "Frühstücksschiff" und das Affektkapital der Traumdeutung
Koppenfels, Martin (Göttingen, 2012)
Schwarzer Peter : der Fall Littell, die Leser und die Täter Kleine Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik ; 2
Koppenfels, Martin (2010)
Kommissbrot : Jonathan Littell's glossary
Koppenfels, Martin (Berlin, 2009)
Wissenschaftskolleg zu Berlin - Institute for Advanced Study : Verleihung des Anna Krüger Preises an Martin von Koppenfels am 18. Februar 2009 Verleihung des Anna Krüger Preises an Martin von Koppenfels am 18. Februar 2009