Naoko Matsumoto, Dr. iur.
Professorin für europäische Rechtsgeschichte
Sophia University, Tokyo
Geboren 1966 in Saitama, Japan
Studium der Rechtswissenschaft an der Hitotsubashi-Universität, Tokio
Arbeitsvorhaben
Konfliktlösung durch Schlichtung im Vergleich: preußische/deutsche Schiedsmänner und japanisches Kankai
Mein Forschungsprojekt besteht darin, deutsche und japanische Schlichtungseinrichtungen und dort verhandelte Fälle im ausgehenden 19. Jahrhundert zu vergleichen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem preußischen Schiedsmannswesen und dem japanischen Kankai (conciliation).Das Schiedsverfahren gilt mit über 200.000 angenommenen Fällen pro Jahr als die meistbenutzte Schlichtungseinrichtung im Kaiserreich. Kankai ist ein Schlichtungsmittel, das im Verlauf der Westernisierung juristischer Organe im Meiji-Japan 1875 eingeführt wurde. Die Zahl der zum Kankai gebrachten Fälle stieg in den Folgejahren auf über eine Million pro Jahr, womit es in der japanischen Justizgeschichte der Neuzeit ein außerordentlich viel genutztes Schlichtungsorgan ist. Durch statistische und inhaltliche Auswertung der Akten der dort verhandelten Fälle möchte ich analysieren, wie und in welcher konkreten Situation man diese Institution nutzte.
Der Ausgangspunkt des Projekts ist die Erkenntnis, dass sich in Japan seit der Einführung des europäischen Gerichtssystems bis heute eine im europäischen Vergleich deutlich niedrigere Prozessrate feststellen lässt. Dieser Umstand wurde im Rahmen der Rechtssoziologie und des Vergleichenden Rechts im Zusammenhang mit Fragen von Rechtstransfers vielfach thematisiert.
Ich möchte auch der Frage nachgehen, ob wir Gerichte als das einzige Mittel zur institutionellen Konfliktlösung betrachten sollten. Durch einen Vergleich der Schlichtungseinrichtungen beider Länder, die sich fast parallel entwickelten, kann die neuere Geschichte der Konfliktlösungen einer Gesellschaft umfassender und vielfältiger dargestellt werden.
Lektüreempfehlung
Matsumoto, Naoko. "Rechtliche Mittel zur individuellen Arbeitskonfliktlösung in Deutschland und Japan um 1900: ein Vergleich." In Arbeit und Recht seit 1800: Historisch und vergleichend, europäisch und global, herausgegeben von Joachim Rückert, 113-132. Köln: Böhlau, 2014.
-. "Justiznutzung durch Frauen vor dem Gewerbegericht um 1900. Das Beispiel Worms." Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 31 (2009): 30-51.
-. "Transfer europäischer Rechtsnormen nach Japan." EGO. Europäische Geschichte Online. Mainz: Institut für Europäische Geschichte, 2007.
www.ieg-ego.eu/matsumoton-2010-de
Kolloquium, 09.02.2016
Preußische/deutsche Schiedsmänner und japanisches Kankai als "alternative" Konfliktlösung. Grenzen und Möglichkeiten der vergleichenden Geschichte
Es gibt keine Gesellschaft, in der man vor jeglichem Konflikt bewahrt bleiben kann. Konflikte gehören zu unserem Gesellschaftsleben, darum gibt es beispielsweise Gerichte. Die Mechanismen der institutionellen Konfliktlösung sind aber je nach Gesellschaft unterschiedlich ausgeprägt. Mein Interesse liegt gerade darin, diese Unterschiede kulturhistorisch zu vergleichen. Die Frage ist: Aber wie und wozu? Es geht also um die Methodologie des Vergleichens.
Nicht, dass uns dabei historisch-vergleichende Forschungen über Gerichtstätigkeiten fehlen würden. Im Gegenteil: Die Forschung zeigte wiederholt den ausgeprägten Kontrast zwischen manchen westlichen Ländern (vor allem den USA), wo traditionell sehr häufig Gerichte angerufen werden, und Ländern in Ostasien, die durch eine niedrige Prozessrate gekennzeichnet sind (Deutschland liegt etwa in der Mitte der Skala). Rechtssoziologen versuchten, diesen Unterschied zu deuten, etwa mit der Mentalitäts- und Modernisierungstheorie, mit der These der Konjunkturabhängigkeit (Wollschlägersche Welle) und schließlich mit institutionellen Defiziten. Andererseits gibt es noch nicht genügend historisch-vergleichende Forschungen über moderne außergerichtliche Konfliktlösungsverfahren (Alternative Dispute Resolution: ADR). Die ADR ist aber meines Erachtens ein wichtiger Faktor, um ein Gesamtbild der Konfliktlösungsmechanismen einer Gesellschaft zu erfassen, vor allem für die Zeit um 1900, als etliche Schlichtungsorgane durch die öffentliche Hand eingerichtet wurden.
Mit meinem Projekt will ich zwei konkrete Schlichtungsorgane vergleichen. Das eine ist das Schiedsmannwesen, eine lokale, ehrenamtliche und von Nichtjuristen ausgeübte Institution. Die Preußische Schiedsmannordnung von 1879 ist das repräsentative Gesetz dafür. Das andere, das Kankai, ist ein juristisches Organ, das 1875 nach Vorbild des französischen "juge de paix" in den knapp 200 frisch eingerichteten Friedensgerichten in Japan eingeführt wurde. Beide Institutionen behandelten damals eine beachtlich hohe Anzahl von Streitigkeiten. Durch Auswertung von konkreten Fällen sowie mithilfe des Forschungskonzepts der "Justiznutzung" versuche ich, eine alternative Perspektive für vergleichende Studien zu entwickeln - u. a. zu der oben genannten Modernisierungstheorie.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Matsumoto, Naoko (Baden-Baden, 2020)
Matsumoto, Naoko (Tōkyō, 2016)
Hoiman doitsu poritsaihō kotohajime to kinsei makki doitsu no shokokkagaku Jōchi daigaku hōgaku sōsho ; 36
Matsumoto, Naoko (2014)
Matsumoto, Naoko (Köln, 2014)
Arbeit und Recht seit 1800 : historisch und vergleichend, europäisch und global Industrielle Welt ; Bd. 87
Matsumoto, Naoko (2010)
Transfer europäischer Rechtsnormem nach Japan
Matsumoto, Naoko (2009)
Justiznutzung durch Frauen vor dem Gewerbegericht um 1900 : das Beispiel Worms
Matsumoto, Naoko (Frankfurt am Main, 1999)
Polizeibegriff im Umbruch : Staatszwecklehre und Gewaltenteilungspraxis in der Reichs- und Rheinbundpublizistik Studien zu Polizei und Polizeiwissenschaft