Marion Albers, Dr. iur.
Professorin für Öffentliches Recht, Informations- und Kommunikationsrecht, Gesundheitsrecht und Rechtstheorie
Universität Hamburg
Geboren 1961 in Dortmund, Deutschland
Studium der Rechtswissenschaft, Soziologie und Politologie an der Freien Universität Berlin und der Universität Bielefeld
Arbeitsvorhaben
Sozialität in der Grundrechtsdogmatik
Grundrechte sind Rechte des Individuums gegen den Staat, vor allem Rechte auf Unterlassung staatlicher Eingriffe in geschützte Freiheiten. So lauten gängige Beschreibungen. In der Grundrechtsdogmatik, also in den Begriffen, Bausteinen und Strukturen, mit denen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Wissenschaft arbeiten, sind diese Beschreibungen fest verankert. Die vermeintlich gesicherten Grundlagen stützen sich jedoch auf Hintergrundkonzeptionen und Voraussetzungen, die inzwischen brüchig geworden sind und nicht länger als gemeinsam geteilter Ausgangspunkt zugrunde gelegt werden können. Dass sich Grundrechtsnormen nicht lediglich negatorisch gegen staatliche Eingriffe wenden, sondern auch andere Gewährleistungsdimensionen einschließen und Rechte auf Teilhabe oder Schutz vermitteln können, ist mittlerweile breit anerkannt. Als Grundlagenproblem taucht aber darüber hinaus die selten erörterte Frage auf, ob Grundrechtsnormen allein Rechte des Individuums verankern oder ob und inwiefern man bei der Interpretation ihrer Gewährleistungsinhalte transindividuelle Dimensionen mitdenken muss. "Sozialität" steht bislang im Schatten der Grundrechtsdogmatik. Deswegen bleibt vage und zufällig, an welcher Stelle und wie Sozialität, soziale Institutionen oder soziale Systeme in der Grundrechtsdogmatik welche Rolle spielen und wie sich dies auswirkt. Das Projekt wird zum einen denkbare Ansätze aus einer Metaperspektive analysieren, differenzieren und systematisieren. Zum anderen wird es mit Blick auf aktuelle Probleme und hier vor allem mit Blick auf die Kommunikationsfreiheiten unter den Bedingungen des Internets veranschaulichen, wie Sozialität im Rahmen der Konkretisierung grundrechtlicher Gewährleistungsinhalte eingebracht werden kann. Neben Grundrechten des Grundgesetzes wird es die immer wichtiger werdenden Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Charta einbeziehen. Ziel ist es, einen Beitrag zur angemessenen Verankerung der Sozialität in der Grundrechtsdogmatik zu leisten.Lektüreempfehlung
Albers, Marion. "Biotechnologies and Human Dignity." In Human Dignity in Context: Explorations of a Contested Concept, herausgegeben von Dieter Grimm, Alexandra Kemmerer und Christoph Möllers. Baden-Baden: Nomos, 2017.
-. Informationelle Selbstbestimmung. Baden-Baden: Nomos, 2005.
-. "Faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen als Schutzbereichsproblem." DVBl Deutsches Verwaltungsblatt 1996: 233-242.
Kolloquium, 03.07.2018
Sozialität in der Grundrechtsdogmatik
Viele Themen, über die in der Gesellschaft oder in anderen Disziplinen diskutiert wird, werden auch in rechtlichen und grundrechtlichen Zusammenhängen erörtert. Zu den Beispielen gehören der Umgang mit Fake News und Social Bots, Vergessen im Internet und das Recht auf Vergessenwerden, nachhaltiger Konsum und Rechtsfragen der Konsumenteninformation und des Nudging oder Zukunftsvisionen wie Interventionen in das menschliche Gehirn.
Diese Themenkomplexe sind nicht nur aktuell; sie werfen auch das Problem auf, mit dem ich mich beschäftige: Welche Rolle spielt die Sozialität von Individuen im Rahmen der Dogmatik der Grundrechte? Grundrechte werden traditionell als Rechte des Individuums gegen den Staat verstanden, vor allem als Rechte auf Unterlassung staatlicher Eingriffe in geschützte Freiheiten. Zudem sind individualistische Konzeptionen der Schutzgüter in der Grundrechtsdogmatik fest verankert: Schutzgüter werden so konzipiert, dass sie dem isolierend betrachteten Individuum selbst entspringen, ohne dass immer schon vorhandene soziale Bedingungen und Zusammenhänge mitzudenken sind. Die vermeintlich gesicherten Grundlagen sind jedoch voraussetzungsvoll und brüchig geworden. Als Grundlagenproblem taucht die Frage auf, ob Grundrechtsnormen allein Rechte des Individuums verankern oder ob und inwiefern man bei der Interpretation ihrer Gewährleistungsinhalte und bei der Schutzgutkonstruktion transindividuelle Dimensionen mitdenken muss.
Ich werde zunächst einige Grundlagen erläutern: Menschen- und Grundrechte, Grundrechtsdogmatik, Strukturen der Grundrechte und die dogmatisch relativ verfestigte Konzeption grundrechtlicher Schutzgüter. Historische und dogmatische Gründe erklären, dass, inwiefern und warum diese Schutzgüter individualistisch konstruiert werden. Im nächsten Punkt erläutere ich, dass die Sozialität des Individuums nicht länger ausgeblendet werden kann, sondern mit der Entwicklung der Gesellschaft, der Erweiterung und Pluralisierung rechtswissenschaftlicher Perspektiven und neuen Fallkonstellationen zu einem intrinsischen Problem der Grundrechtsdogmatik und ihres Schutzgutverständnisses wird. Thematisiert man Sozialität, muss man - was viele der verstreuten Überlegungen, die man in der Literatur findet, nur unzureichend machen - eigenständige disziplinäre Ausgangspunkte ebenso differenzieren wie die denkbaren Ebenen, Perspektiven und Formen der Beobachtung und Beschreibung. Rechtswissenschaftliche Theorieangebote und Rechtsdogmatik dürfen nicht zu eng miteinander verknüpft werden. In der Dogmatik lassen sich sozialitätsorientierte Konstruktionen über Prozesse der De- und Rekontextualisierung grundrechts- und bereichsspezifisch unter anderem mittels typisierter Fallkonstellationen entwickeln. Ich schließe mit einigen Folgerungen und sich eröffnenden Forschungskomplexen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Albers, Marion (2018)
Biotechnologies and human dignity
Albers, Marion (2018)
Recht & Netz : Entwicklungslinien und Problemkomplexe
Albers, Marion (Baden-Baden, 2018)
Albers, Marion (Baden-Baden, 2015)
Globales Recht und Terrorismusfinanzierungsbekämpfung Schriften der Albrecht Mendelssohn Bartholdy Graduate School of Law ; 2
Albers, Marion (2014)
Enhancement, human nature, and human rights
Albers, Marion (Dordrecht, 2014)
Human rights and human nature Ius Gentium ; 35
Albers, Marion (2011)
Höchstrichterliche Rechtsfindung und Auslegung gerichtlicher Entscheidungen
Albers, Marion (München, 2008)
Grundlagen des Verwaltungsrechts ; Bd. 2 ; Informationsordnung, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen Grundlagen des Verwaltungsrechts ; Bd. 2
Albers, Marion (Köln, Berlin, 1996)
Faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen als Schutzbereichsproblem