Anna Lisa Ahlers, Dr. phil.
Sinologie
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Geboren 1982 in Duisburg, Deutschland
Studium der Sinologie und Politikwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen
Arbeitsvorhaben
Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik im gegenwärtigen China
Mein Forschungsvorhaben widmet sich der Analyse von Chinas gegenwärtiger Wissenschaftspolitik und insbesondere den beobachtbaren politischen Ambitionen im Hinblick auf Chinas Status und Einfluss im globalen Wissenschaftssystem. Politische Steuerung und Kontrolle und politische Wertbindung scheinen konstituierende Merkmale von Wissenschaft in China zu sein. Auswärtige Beobachter, aber auch Klassiker der Wissenschaftssoziologie verweisen jedoch auf die Unmöglichkeit von Forschung von Weltrang und Theoriebildung unter Bedingungen beschränkter Autonomie und autoritärer politischer Strukturen. Wie werden diese Fragen in China diskutiert bzw. wie werden sie dort historisch und gegenwärtig beantwortet?Das Projekt selbst versteht Wissenschaft als globales Funktionssystem, ist aber an einer genauen Erfassung chinesischer Selbstbeschreibungen interessiert. Da diese vorläufig eine Unterscheidung zwischen nationalem und globalem Wissenschaftssystem erkennen lassen, erscheint es sinnvoll, diese Unterscheidung zunächst mitzumachen und sowohl den Anspruch auf politische Steuerung von Wissenschaft im nationalen chinesischen Kontext zu untersuchen wie auch die Elemente und bisherigen Effekte der chinesischen wissenschaftspolitischen Strategien mit globalem Anspruch zu analysieren. Hierzu bedarf es unter anderem einer Untersuchung eines größeren Korpus von chinesischen Quellen sowie einer genauen Abbildung der Strukturen und Prozesse dieses Politikfeldes.
Konkrete Ergebnisse dieser Studie werden ausführliche Überblicksartikel und eine Buchpublikation in englischer Sprache sein, die den Arbeitstitel "Science and Democratic and Authoritarian Social Structures" trägt, angelehnt an das berühmte Werk von Robert K. Merton. Das Buch wird Beiträge versammeln, die während eines Workshops am Wissenschaftskolleg ausgearbeitet werden sollen. Das Merton Project: Science and Political Regimes in the 21st Century, das ich zusammen mit Rudolf Stichweh und in Kooperation mit meiner Lise-Meitner-Forschungsgruppe am MPIWG durchführe, bietet hierfür einen weiteren Rahmen.
Lektüreempfehlung
Ahlers, Anna L., Damien Krichewsky, Evelyn Moser und Rudolf Stichweh. Democratic and Authoritarian Political Systems in 21st Century World Society. Vol. 1, Differentiation, Inclusion, Responsiveness. Bielefeld: Transcript, 2020.
Ahlers, Anna L. und Shen Yongdong. "Breathe Easy? Local Nuances of Authoritarian Environmentalism in China's Battle Against Air Pollution." The China Quarterly 234 (2018): 299-319.
Ahlers, Anna L. Rural Policy Implementation in Contemporary China: New Socialist Countryside. London: Routledge, 2014.
Kolloquium, 05.01.2021
Technokratie 3.0? Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik im gegenwärtigen China
Chinas Aufstieg im globalen Wissenschaftssystem in den letzten zwei Jahrzehnten ist beispiellos und provozierend. Die Volksrepublik rast an die Spitze aller signifikanten weltweiten Ranglisten, z.B. derjenigen, die wissenschaftliche Veröffentlichungen und Zitationen zählen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung im In- und Ausland auflisten oder die Reputation von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen abbilden. Diese Entwicklungen, die in Rekordzeit erzielt wurden, scheinen bereits einen ersten Erfolg der Strategie der chinesischen Regierung zu belegen, die darauf abzielt, China bis 2020 zu einem wissenschaftlichen Schwergewicht und bis 2050 zur weltweit führenden Wissenschaftsmacht zu machen. Sie stellen jedoch auch gängige Annahmen in Frage, z.B. was das Zusammenspiel von Wissenschaft und Demokratie in der modernen Gesellschaft betrifft. Wie ist eine solche wissenschaftliche Expansion und ein solcher Erfolg unter einem autoritären Regime möglich, das sich klar für die politische Kontrolle von Wissenschaft entscheidet, akademische Freiheit einschränkt und keine wissenschaftliche Autonomie akzeptiert?
In diesem Vortrag werde ich mich auf einen Aspekt meiner aktuellen Forschung konzentrieren und fragen, wie das Verhältnis von Wissenschaft und politischem Regime heute in China offiziell konzeptualisiert wird. Diese Konzeptualisierung unterscheidet sich augenscheinlich von denen in der Mao-Ära und in der frühen Reform- und Eröffnungsperiode nach 1978. Ich werde darüber nachdenken, wie diese Konzeptualisierung mit allgemeinen Vorstellungen vom Imperativ funktionaler Autonomie, der globalen Natur von Wissenschaft versus ihre nationalistische Instrumentalisierung, von der Einheit der Wissenschaft sowie von einem spezifischen Ethos der Wissenschaft gegenüber einer unspezifischen gesellschaftlichen Wertorientierung von Wissenschaft konvergiert oder kollidiert. Abschließend werde ich versuchen zu beschreiben, wie die politische Struktur, die Wissenschaftspolitik und die Struktur des heutigen Wissenschaftssystems in China in diesem Modell einer modernen Autokratie des 21. Jahrhunderts miteinander verbunden sind.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Ahlers, Anna Lisa (Duisburg, 2021)
More exchange at eye-level : European research cooperation with the People's Republic of China
Ahlers, Anna Lisa (Bielefeld, 2021)
Democratic and authoritarian ... ; volume 1 ; Differentiation, inclusion, responsiveness Democratic and authoritarian political systems in 21st century world society ; volume 1
Ahlers, Anna Lisa (Ann Arbor, MI, 2020)
The great smog of China : a short event history of air pollution Asia shorts ; number 4
Ahlers, Anna Lisa (Cambridge [u.a.], 2018)
Ahlers, Anna Lisa (Bonn, 2017)
The bipolarity of democracy and authoritarianism : value patterns, inclusion roles and forms of internal differentiation of political systems FIW working paper
Ahlers, Anna Lisa (London [u.a.], 2014)
Rural policy implementation in contemporary China : new Socialist countryside Constructing a new socialist countryside in contemporary China