Akteure der kulturellen Globalisierung, 1860 - 1930
Die Forschergruppe untersucht die Dynamik kultureller Austauschprozesse in der ersten Hochphase der Geschichte der Globalisierung um 1900. Besonderes Augenmerk liegt auf den Akteuren und Vermittlern transnationaler Interaktion. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach den unterschiedlichen Modi der Aushandlung kultureller, politischer und sozialer Differenz. Im Spannungsfeld zwischen homogenisierenden Tendenzen einerseits, der Profilierung und Konstruktion von Abgrenzungen andererseits sollen die komplexen Prozesse des kulturellen und sozialen Wandels unter Bedingungen globaler Verflechtung untersucht werden. Die Arbeit der Forschergruppe basiert auf der Verbindung von regionalwissenschaftlicher Kompetenz und einer globalgeschichtlichen Perspektive. Auf diese Weise will sie einen nicht-eurozentrischen Beitrag zu einer Genealogie der globalisierten Welt leisten.
Die historische Forschung zur Geschichte der Globalisierung hat sich, vor allem im Hinblick auf die Konjunktur globaler Interaktionen um 1900, bislang auf politische und weltwirtschaftliche Fragen konzentriert. Im Rahmen der Forschergruppe sollen hingegen kulturgeschichtliche Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen, ohne zugleich den Bezug zu politischen Prozessen und ökonomischen Strukturen aus dem Auge zu verlieren. Auf diese Weise soll ein komplexerer Beitrag zur Geschichte der Globalisierung geleistet werden. Dabei stehen soziale Akteure sowie außer-europäische Perspektiven im Vordergrund. Im Hintergrund steht die Frage, ob die unterschiedlichen Formen kultureller Aneignung einen Ausgangspunkt für die Herausbildung „multipler Modernen“ dargestellt haben könnten.
Im Einzelnen stehen folgende Fragen im Vordergrund:
- Wie sah die Logik der globalen Interaktion konkret aus? Welche Strategien der Aneignung und kulturellen Übernahme spielten dabei eine Rolle? Welche Bedeutung hatte die Diskussion über „West“ und „Ost“ für die Dynamik dieser Verflechtung?
- In welchem Maße waren kulturelle Interaktionen mit der Herausbildung eines globalen Bewusstseins verbunden? Welche Rolle spielten weit entfernte Vorbilder oder Schreckensvisionen für die Reformdiskussion in den unterschiedlichen Gesellschaften? Wie weit reichten transnationale Öffentlichkeiten, und wo waren ihre Grenzen? Lässt sich die Entstehung regionaler Interaktionen und eines regionalen Bewusstseins (wie im Falle der Pan-Bewegungen) als Reaktion auf Globalisierungsvorgänge verstehen?
- Welche Bedeutung hatte die Rhetorik der Zivilisierungsmission für die Globalisierung um 1900? Führte die Zunahme von Austauschbeziehungen zu einer kulturellen Homogenisierung – oder eher zur Profilierung von Unterschieden? Welche Logik der Differenz strukturierte die globale Verflechtung im späten 19. Jahrhundert?
Die drei leitenden und miteinander in Beziehung stehenden Forschungsfragen werden in allen Projekten aufgenommen; quer dazu steht ein übergreifendes Anliegen der Forschergruppe:
Lässt sich eine Landkarte kultureller Verflechtungen im globalen Maßstab rekonstruieren, die der unterschiedlichen regionalen Dynamik Rechnung trägt? Welche Knotenpunkte, welche Hierarchien, welche Asymmetrien strukturierten Interaktionen im globalen Maßstab?
Die Forschergruppe will einen Beitrag zur Historisierung der Globalisierung leisten. Der Fokus auf der kulturgeschichtlichen Dimension der Austauschprozesse ermöglicht es, die Untersuchungen an die Frage nach der Pluralisierung von Modernisierungspfaden anzuknüpfen. Trug die Logik der kulturellen Verflechtung dazu bei, eine Welt der multiple modernities entstehen zu lassen, deren Dynamik auch die Gegenwart noch prägt?
Die Forschergruppe bringt Wissenschaftler unterschiedlicher disziplinärer und regionaler Spezialisierungen zusammen, die sich in ihrem theoretischen Ansatz sowohl von der nationalstaatlichen Perspektive als auch von Vorstellungen begrenzter (Kultur-)räume lösen. Statt dessen sollen exemplarisch Problemstellungen in den Mittelpunkt der Forschungsinteressen gerückt werden, die zwischen den Regionen, Kulturen, Nationen, Kontinenten (und auch akademischen Disziplinen) zu finden sind. Die einzelnen Forschungsvorhaben richten sich gleichwohl auf konkrete Gegenstände und Räume; die sprachlichen und kulturellen (häufig regionalwissenschaftlichen) Kompetenzen sind das Fundament der einzelnen Projekte.
An der Forschergruppe sind, neben Andreas Eckert und Sebastian Conrad, folgende Personen beteiligt: Verena Blechinger-Talcott (Freie Universität Berlin), Harald Fischer-Tiné (International University Bremen), Natascha Gentz (University of Edinburgh), Ursula Lehmkuhl/ Michaela Hampf (Freie Universität Berlin), Ulrich Mücke (Universität Hamburg) und Stefan Rinke (Freie Universität Berlin).