Frank Rexroth, Dr. phil.
Professor der Geschichte
Georg-August-Universität Göttingen
Geboren 1960 in Kork, jetzt Kehl am Rhein, Baden-Württemberg
Studium der Geschichte und der Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Arbeitsvorhaben
Systemvertrauen, Expertenkritik und die Ökonomie des Wissens im späteren Mittelalter
Ich arbeite an einer Monographie, die den Status von Expertenkulturen in der europäischen Geschichte des späteren Mittelalters zum Gegenstand hat. Seit ca. 1100 führt die zunehmende Komplexität der Wissenssysteme in den latein-europäischen Gesellschaften zur Schöpfung des "Experten" als eines kulturellen Typus und, sozialgeschichtlich betrachtet, zur Formierung von Expertenmilieus. Die Strategien von deren Selbstlegitimation, die sozialen Reaktionen auf ihr Wirken und die zeitgenössischen Redeweisen über die neue Unübersichtlichkeit der Welt will ich gesamthaft untersuchen. Mein Buch soll also den Expertenmilieus selbst und zugleich den gesellschaftlichen Reaktionen gewidmet sein, die deren Existenz hervorruft. Dabei wird es auch um die Kultur der Städte und der Höfe gehen, insbesondere aber um Gelehrte und Studierte vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Ich erforsche deren Selbstinszenierungen, ihren Habitus und zugleich die latente Ablehnung der Gelehrten durch die Mehrheitsgesellschaft. Solcherlei Ablehnung begreife ich nicht als ein retardierendes Moment des vermeintlichen Modernisierungsprozesses. Vielmehr unterstelle ich ihr, dass sie ihrerseits kulturell schöpferisch ist und zur Formulierung von verlockenden Gesellschaftsentwürfen der Einheit, Ganzheit und Einfachheit führt.Lektüreempfehlung
Rexroth, Frank. Expertenweisheit: Die Kritik an den Studierten und die Utopie einer geheilten Gesellschaft im späten Mittelalter, erscheint demnächst als selbständige Schrift in der Reihe "Vorträge am Freiburger Mittelalterzentrum".
-. Deviance and Power in Late Medieval London. Cambridge: Past and Present Publications, 2007.
-. "Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung: Eine Skizze zur Einführung." In Meistererzählungen vom Mittelalter: Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, herausgegeben von Frank Rexroth, 1-22. München: Oldenbourg, 2007. (Beihefte der Historischen Zeitschrift Nr. 46.)
Kolloquium, 11.11.2008
Der Experte - ein Rollentypus und seine Anfänge im europäischen Spätmittelalter
Obwohl mein Forschungsprojekt auf das 12.-16. Jahrhundert konzentriert ist, habe ich es doch aus sozialen Konstellationen der Gegenwart heraus entwickelt, denn es zielt generell auf die soziale Relevanz von Expertenwissen in europäischen Gesellschaften. Daß wir auf eine sozial akzeptierte Weise als "Experten" gelten können, haben wir unseren institutionellen Legitimierungen zu verdanken: unseren akademischen Graden, unseren Funktionen etc. Unsere Expertise beruht auf einer jahrhundertelangen Ausdifferenzierung von Wissensbeständen und zugleich auf deren Verfestigungen in wissenschaftlichen Disziplinen.
Dieser Umstand: daß unser Expertenwissen das Resultat einer Dissoziation des allgemein verfügbaren ‚höheren' Wissens ist, führt nicht etwa dazu, daß unsere soziale Situierung eindeutig festgelegt wäre, im Gegenteil: er erzeugt ein Spannungsfeld, in dem wir uns beständig orientieren müssen. Denn einerseits verlangt die Öffentlichkeit ihren Experten ab, daß sie hochspezialisiertes, sozusagen maßgeschneidertes Wissen für die Bewältigung ganz spezifischer Probleme und Herausforderungen bereithält. Andererseits aber führt diese Konstellation dazu, daß der Experte beständig überfordert wird, was die allgemeinen Erwartungen an sein Wissen, insbesondere seinen Beitrag zur Lösung von Problemen anbelangt. Der Experte kann es der Öffentlichkeit nie recht machen, denn er ist der lebende Beweis dafür, daß hochspezialisierte Kompetenz ja nur das Resultat einer prinzipiell unendlichen Dissoziation des Wissens sein kann, dafür, daß es die Wissenschaften folglich nicht mehr schaffen, den Blick für das große Ganze, etwa: das soziale Ganze, zu bewahren. Überblick, Sinngebung und Orientierungswissen erwartet man sich in der Öffentlichkeit nämlich ebenfalls von uns, so daß wir dann, wenn wir öffentlich von unseren hochspezialisierten Kompetenzen sprechen, zugleich Verlustgefühle verstärken, die seit langem existierten.
Ich vertrete die These, daß diese ambivalente Situation mit der Genese europäischer Expertenkulturen in der zweiten Hälfte des Mittelalters, von ca. 1100 an, sogleich entstanden ist. Im zweiten Teil meines Vortrags will ich an einem Beispiel die Genese von Expertenkulturen demonstrieren. Ich werde versuchen zu zeigen, wie man sich am Beispiel des Rechts die Trennung von gesetzgeberischer und gelehrt-juristischer Sphäre erklären kann und was dies für Gesetzgeber und die Gelehrten des Rechts bedeutet hat.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rexroth, Frank (München, 2018)
Fröhliche Scholastik : die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Rexroth, Frank (2009)
Rexroth, Frank (Düsseldorf, 2009)
Wozu brauchen wir Experten : von den Universitäten des Mittelalters zum "Sachverständigen" der Gegenwart ; Alexander Kluge im Gespräch mit Frank Rexroth 10 vor 11
Rexroth, Frank (Berlin, 2008)
Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa : Festschrift für Michael Borgolte zum 60. Geburtstag
Rexroth, Frank (2008)
Pierre Dubois und das Projekt einer universalen Heilig-Land-Stiftung
Rexroth, Frank (Basel, 2008)
Expertenweisheit : die Kritik an den Studierten und die Utopie einer geheilten Gesellschaft im späten Mittelalter Freiburger mediävistische Vorträge ; 1
Rexroth, Frank (München, 2008)
Die Mittelalter-Box ; Deutsche Geschichte im Mittelalter Die Mittelalter-Box
Rexroth, Frank (Cambridge, UK [u.a.], 2007)
Deviance and power in late medieval London Das Milieu der Nacht <engl.>
Rexroth, Frank (2007)
Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung : eine Skizze zur Einführung
Rexroth, Frank (München, 2007)
Meistererzählungen vom Mittelalter : Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen Historische Zeitschrift