Eckart Goebel, Dr. phil.
Professor der Germanistik
New York University
Geboren 1966 in Herford, Deutschland
Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Freien Universität Berlin und der Germanistik am St. Hugh's College, Oxford
Arbeitsvorhaben
Goethes psychologisches Wissen
Ich plane, ein Buch zu schreiben, das Goethes psychologisches Wissen erschließt und darstellt. Goethe entwickelt, so meine Hypothese, die Psychologie des Menschen aus der ursprünglichen Einsicht in dessen Getrenntheit von der Natur, die sich exemplarisch an der Unnatürlichkeit der Passion zeigt, deren Analyse sich zahlreiche seiner Werke vom Werther bis zur Trilogie der Leidenschaft widmen. Goethes andauernde Beschäftigung mit der "Natur" erscheint aus dieser Perspektive als Versuch, die Konturen menschlicher Existenz in ihrer Fremdheit sichtbar zu machen.Mein Projekt soll Goethe mit seiner umfangreichen Forschung nicht nur als Analytiker, etwa des suizidalen Dilettanten, des neurotischen Hofkünstlers, des alternden Gelehrten, oder als Psychologen der Ehe präsentieren, sondern auch Werkkomplexe wie Gespräche und Briefe auf das darin dokumentierte psychologische Wissen hin untersuchen. Hans Blumenbergs Beobachtung des Goethe'schen "Takts", der sich in diplomatischen Konstellationen sowie in der Verwaltung der eigenen öffentlichen Person und ihres Ruhms zeigt, soll weiter ausgearbeitet werden. Neben die Erfahrung von Fremdheit tritt die Erfahrung tiefer Einsamkeit, deren Phänomenologie Goethe eindringlich niedergelegt hat.
Meine Untersuchung zur "Gefühlsklugheit" nähert sich Goethe historisch, und zwar aus zwei Richtungen. Sie reflektiert einerseits seine Auseinandersetzung mit der europäischen Renaissance, andererseits blickt sie aus psychoanalytischer Sicht auf ihn und seinen Einfluss zurück. Die bisherige Arbeit an meinem Projekt führte mich dazu, "klassische" Abhandlungen zum "Individuum" in der Renaissance - die Bücher Jacob Burckhardts, Walter Paters und Ernst Cassirers etwa - als Werke zu lesen, die inhaltlich wie methodologisch ohne Goethe nicht wirklich nachvollziehbar sind. Über diese folgenreichen Abhandlungen zur Renaissance, so meine These, findet Goethes psychologisches Wissen indirekt Eingang in die ästhetische Theorie und die Psychologie von Moderne und Gegenwart.
Lektüreempfehlung
Goebel, Eckart und Sigrid Weigel (Hg.). "Escape to Life": German Intellectuals in New York: a Compendium on Exile after 1933. Berlin und Boston: de Gruyter, 2012.
Goebel, Eckart. Jenseits des Unbehagens: "Sublimierung" von Goethe bis Lacan. Bielefeld: Transcript, 2009.
-. Charis und Charisma: Grazie und Gewalt von Winckelmann bis Heidegger. Berlin: Kadmos, 2006.
Kolloquium, 12.11.2013
"Da ich, wie du weißt, alles als Übung behandle": Goethes erstes Weimarer Jahrzehnt (1775-1786)
Schillers Essay "Über naive und sentimentalische Dichtung" erhob die 'Weimarer Arbeitsteilung' zum hohen Muster, demzufolge Schiller der ums Werk 'ringende' Psychologe und Intellektuelle sei, während Goethe als großer Naiver gelassen sein Naturgenie entfalte und ausspreche. Goethe schrieb den Mythos fort, indem er zehn Jahre aus der Autobiographie ausschloss, in denen sich (fast) alles um Psychologie und (Selbst-)Analyse drehte: "Dichtung und Wahrheit" endet 1775 mit dem Gang nach Weimar, die "Italienische Reise" beginnt 1786. Noch 1829 meinte Goethe zu Eckermann, er habe "in den ersten zehn Jahren nichts Poetisches von Bedeutung hervorgebracht".
Nichts von Bedeutung?
In dieser Zeit schreibt Goethe viele seiner besten Gedichte, die "Harzreise im Winter", "An den Mond", "Der Erlkönig". Er schreibt "Wilhelm Meisters Theatralische Sendung" und die "Iphigenie". Er schreibt an "Egmont", "Tasso", "Faust". Und er schreibt Tausende von Briefen, die zu den schönsten und tiefsten zählen, die er je verfasste: über die Liebe, die Seele, die Macht und darüber, wie man sich selbst historisch wird.
Das erste Weimarer Jahrzehnt wird in der Forschung als Zeit des "Übels" und als "Problem" charakterisiert, während die Italienische Reise die "Radikal-Therapie" gewesen sei, welche die "Heilung" gebracht habe. Liegt hier ein Missverständnis vor?
Es verhält sich, so die Hypothese des Vortrags, womöglich umgekehrt: Die erste Weimarer Dekade war, als notwendiges "Übel", die Therapie für einen Dichter, der sich noch 1784 als zerbrechlich "wie ein rohes Ey" empfand, und die Reise nach Italien war der empfangene Lohn. Eindrucksvoll und einsichtsvoll hat Goethe zwischen 1775 und 1786 die disziplinierte Arbeit an sich, am Werk und an der "Weltrolle" dokumentiert. Der Vortrag stellt die harten Lehrjahre vor und bemüht sich zugleich um Einblick in Goethes Erfahrung der Moderne.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Goebel, Eckart (Oxford, 2017)
Goebel, Eckart (Paderborn, 2015)
Esmeralda : Victor Hugo - Goethe - Thomas Mann$dEckart Goebel
Goebel, Eckart (Göttingen, 2015)
Esmeralda : deutsch-französische Verhältnisse in Thomas Manns "Doktor Faustus" Manhattan Manuscripts ; 12
Goebel, Eckart (2013)
Der Versucher, hypogrammatisch : Luther, Goethe, Nietzsche in Martin Heideggers Sein und Zeit, §38
Goebel, Eckart (2012)
Das Opfer der Kritik : Benjamin - Kommerell
Goebel, Eckart (2012)
Eclipse of reason : Max Horkheimer's New York Lectures, 1944
Goebel, Eckart (Berlin [u.a.], 2012)
Goebel, Eckart (2009)
Goebel, Eckart (Bielefeld, 2009)
Jenseits des Unbehagens : "Sublimierung" von Goethe bis Lacan Literalität und Liminalität ; 11
Goebel, Eckart (Göttingen, 2009)
Narziss und Eros : Bild oder Text? Manhattan manuscripts ; 2