Guntram Hazod, Dr. phil. habil.
Sozialanthropologie
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Geboren 1956 in Wels, Österreich
Studium der Sozialanthropologie, Tibetologie und Buddhismuskunde an der Universität Wien
Schwerpunkt
Tibetische GenealogienArbeitsvorhaben
Paradiese in der Landschaft: Die Hügelgräber im frühen Zentraltibet
Ich beabsichtige ein Buch zu schreiben, das wichtige Teile meiner jahrelangen Grundlagenforschung zu den frühmittelalterlichen tibetischen Hügelgräbern zusammenfasst (4.-10. Jh. u. Z.). Die der Forschung vielfach noch unbekannten Tumulusfelder in den alten zentraltibetischen Territorien sind spektakuläre Monumente der vorbuddhistischen Geschichte des Landes. Text, Ethnografie und eine Analyse, die Bestattungsanthropologie und Anthropologie der Landschaft kombiniert, bilden die methodischen Zugänge zur Untersuchung dieser Bestattungsform, zu der es nur wenig grabungsarchäologische Daten gibt. Die Gräber sind in die Landschaft eingeschriebene Repräsentationen des in alten Quellen als "Land der Freude" (gayül) beschriebenen Paradieses und Bestimmungsortes des Verstorbenen, wohin dieser auf rituelle Weise (und im Fall gesellschaftlicher Elite von reichen Gaben begleitet) geführt wurde. Mit der Etablierung des Buddhismus im Hochland (ab dem 10. Jahrhundert) verschwand diese mit älteren euroasiatischen Steppenkulturen verwandte Grabtradition, blieb aber indirekt weiter existent in Form einer teilweisen Integration der Anlagen in die spätere buddhistische Klassifikation der Landschaft. Diese Beobachtung vom Wandel in der Nutzungsgeschichte von Monumenten bildet den Anlass zu einer Diskussion von "Identität", die ich in diesem Zusammenhang aufgreifen möchte. Sie erörtert den Sachverhalt konkreter historischer Genealogien von Zeugnissen einer älteren Tradition in Relation zur Geschichte wechselnder Diskurse von Zugehörigkeiten in kultureller, religiöser, ethnischer oder auch nationaler Hinsicht.Lektüreempfehlung
Hazod, Guntram (mit Per K. Sørensen und Tsering Gyalbo). Rulers on the Celestial Plain: Ecclesiastic and Secular Hegemony in Medieval Tibet. A Study of Tshal Gung-thang, 2 Bde. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2007.
-. "The Plundering of the Tibetan Royal Tombs: An Analysis of the Event in the Context of the Uprisings in Central Tibet of the 9th/10th Century." In Tibet After Empire: Culture, Society and Religion between 850-1000, herausgegeben von Christoph Cüppers, Robert Mayer und Michael Walter, 85-115. Lumbini: Lumbini International Research Institute, 2014 (LIRI Seminar Proceeding Series vol. 4).
-. "Wandering Monuments: The Discovery of the Place of Origin of the Shöl Stele of Lhasa, Orientations." 41, 3 (April 2010): 31-36.
-. "Imperial Central Tibet - An Annotated Cartographical Survey of its Territorial Divisions and Key Political Sites." In The Old Tibetan Annals. An Annotated Translation of Tibet's First History, herausgegeben von Brandon Dotsonun und Guntram Hazod, 161-232. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2009.
Kolloquium, 12.05.2015
Das Jenseits. Sein Ort, seine Beschaffenheit - ein Kapitel aus der Hügelgräbertradition des vorbuddhistischen Tibet
The true mystery of the world is the visible, not the invisible. Oscar Wilde
Mein Arbeitsbericht kommt aus einem Kapitel meines gegenwärtigen Buchprojektes - eine Dokumentation und Studie über die frühe Bestattungstradition im tibetischen Hochland. Wie viele der älteren Kulturen im euroasiatischen Raum hatte die Bestattung in Tibet über eine lange Zeit - während des frühen Königtums und der imperialen Periode (c.4.-9. Jh. u.Z.) - ihren sichtbaren Ausdruck in Hügelgräbern, einige, aus der Kategorie von Elitegräbern, von enormem Ausmaß. Die Gräber bildeten ihrerseits den sichtbaren Abschluss einer rituellen Prozedur, die den Verstorbenen die Reise ins Jenseits sichern sollte. Über die Natur des Lebens danach sind wir insofern unterrichtet, als - ähnlich wie in vielen der älteren Kulturen - die Quellen auf die Vorstellung von einem Weiterleben gleichsam parallel zum irdischen Leben verweisen. Überraschenderweise findet sich in der Literatur aber kaum der Versuch, den Himmel, wo die jenseitige Gesellschaft ihr Lager aufschlug, genauer zu konkretisieren. Die empirischen Daten zu Tibet erlauben hier aber eine durchaus differenziertere Annäherung.
Eine Eigentümlichkeit der vorbuddhistischen Gemeinschaften des Hochlandes war, dass sie offenbar keinen Namen für Religion hatten, und soweit ich das sehe, galt das auch für vergleichbare frühe, schriftlose Kulturen. Es scheint auch nicht zielführend, die Jenseitsfrage innerhalb der Rubrik des Religiösen abzuhandeln. Dies würde heißen, etwas zu trennen, das nicht trennbar ist. Das Religiöse in diesen Kulturen war vielmehr untrennbar mit der Organisation von Verwandtschaft und den Prozessen von Gemeinschaftsbildung verbunden. Dies umfasste notwendig auch den Ort, in dem diese Prozesse stattfanden: die Landschaft definiert hier als der angeeignete und begrifflich erfasste Lebensraum der Gruppe. Der Himmel in der Eigentümlichkeit eines "gespiegelten Himmels" war Teil dieser Aneignung. Die Quellen machen deutlich, dass sich beide, das Leben im Jenseits und das irdische Leben, dieselbe Geographie teilten. Wir werden bei der Suche nach dem Jenseits also auf die Alltäglichkeit der sichtbaren Landschaft verwiesen. Mehr noch, die Beschreibung des paradiesischen "Landes der Freude", das für den Verstorbenen vorgesehen war, bezieht sich auf einen spezifischen, allseits bekannten Ort innerhalb der Landschaft.
Das Paradies war nicht das ganze Jenseits. Wir müssen es in Verbindung sehen mit dem größeren Bereich des "Übernatürlichen", wenn diese Verbindung auch nicht so eindeutig festzuhalten ist. Ich nenne diesen Bereich den "Alltag des Jenseits", mit dem die Menschen regelmäßig interagierten. Er war gegenüber dem Paradies offensichtlich von unterschiedlicher Beschaffenheit. Es ist die rituelle Architektur des Grabes, die uns einige Indizien liefert, um die Grenzlinien zwischen diesen jenseitigen Dimensionen des Lebens genauer zu bestimmen.
Der Arbeitsbericht greift schließlich eine Frage auf, die nicht neu ist, in der Literatur mit unter-schiedlicher Färbung aber immer wieder neu gestellt wird: Was passierte mit den alten Jenseitsideen und Praktiken der "heidnischen" Kulturen nach solch einschneidenden Entwicklungen wie der Ausbreitung der Weltreligionen - bezogen auf Tibet des Buddhismus? Für Tibet lassen sich hier einige überraschende Beobachtungen anstellen. Sie enthalten Anhaltspunkte in Richtung einer umfassenderen "Theorie des Jenseits".
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Hazod, Guntram (2018)
Hazod, Guntram (Beijing, 2018)
Tibetan genealogies : studies in memoriam of Guge Tsering Gyalpo (1961-2015)
Hazod, Guntram (2014)
Hazod, Guntram (2013)
The plundering of the Tibetan Royal tombs
Hazod, Guntram (2012)
Hazod, Guntram (2010)
Wandering monuments : the discovery of the place of the oritin of the Shöl stele of Lhasa
Hazod, Guntram (Wien, 2007)
Rulers on the celestial ... ; Vol. 2 Rulers on the celestial plain ; Vol. 2
Hazod, Guntram (Wien, 2007)
Rulers on the celestial ... ; Vol. 1 Gung-thang dkar-chag
Hazod, Guntram (Wien, 2007)
Rulers on the celestial plain : ecclesiastic and secular hegemony in medieval Tibet ; a study of Tshal Gung-thang Denkschriften ; 361
Köpfe und Ideen 2015
Die Vermessung Tibets im Grunewald
ein Porträt von Guntram Hazod, Tsering Gyalpo, Weirong Shen von Michael Oppitz