Vittorio Magnago Lampugnani, Dr. Ing.
Professor (em.) für Geschichte des Städtebaus und freier Architekt
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
Geboren 1951 in Rom
Studium der Architektur an der Università di Roma La Sapienza und der Technischen Universität Stuttgart
Arbeitsvorhaben
Die nachhaltige Stadt: eine Geschichte der urbanistischen Strategien für den sparsamen Umgang mit Ressourcen
Das Konzept der Nachhaltigkeit, das in der zeitgenössischen urbanistischen Diskussion eine zentrale Rolle spielt, ist so alt wie die Stadt selbst. Bereits der früheste uns überlieferte Architekturtheoretiker, Vitruv, führte mit dem Begriff der Firmitas die Forderung nach jener Dauerhaftigkeit ein, die eine Grunddimension der Nachhaltigkeit der Stadt ist. Seit dem 17. Jahrhundert wurde über diese Nachhaltigkeit mit zunehmender Differenzierung nachgedacht und gehandelt: etwa in John Evelyns Pamphlet Fumifugium von 1661, das Abhilfen gegen die schlechte Luft des damaligen London vorschlug, in den europäischen Vorschriften des 18. Jahrhunderts, die hygienische Standards in den Städten festsetzten, bis hin zu Friedrich Weinbrenners Baunormen von 1819. Kürzlich deklarierte eine Ausstellung in Paris die Stadt von Georges-Eugène Haussmann zur „ville durable".In meiner Forschungsarbeit am Wissenschaftskolleg zu Berlin werde ich versuchen, die Wurzeln und Entwicklungen der Diskussion über die nachhaltige Stadt anhand von ausgewählten Texten zu rekonstruieren. Der Schwerpunkt wird im späten 17., 18. und 19. Jahrhundert liegen, jener Zeitspanne, in der sich die moderne Industriestadt entwickelt. Untersucht werden Architektur- und Städtebau-, theoretische, aber auch politische, philosophische und sozialreformerische Texte sowie medizinische, ökonomische und polizeiliche Abhandlungen. Daraus sollen die wichtigsten Argumentationsstränge der Nachhaltigkeitsdebatte herausgefiltert werden, darunter Permanenz der Struktur, Dauerhaftigkeit der Substanz und sozialer Ausgleich, aber auch Materialbeschaffung für den Aufbau der Stadt, Bodenversiegelung, Wasserversorgung, Entwässerung, Belüftung, Hygiene, Abfallentsorgung, Verkehr, Durchgrünung, Boden- und Energieverbrauch.
Aus der kritischen Textanalyse soll eine (skizzenhafte, eigenwillige, persönlich gefärbte) Geschichte der städtischen Nachhaltigkeitsdiskussion entwickelt werden, die auch die gegenwärtigen Debatten bereichern und schärfen kann.
Lektüreempfehlung
Magnago Lampugnani, Vittorio. Voreingenommene Erzählungen: Architekturgeschichte als Ideengeschichte. Zürich: gta, 2016.
-. Die Stadt im 20. Jahrhundert: Visionen, Entwürfe, Gebautes. Berlin: Wagenbach Verlag, 2010.
-. Die Modernität des Dauerhaften: Essays zu Stadt, Architektur und Design. Berlin: Wagenbach, 1995; Neuauflage Frankfurt/Main: Fischer, 1998.
Kolloquium, 21.11.2017
Bedeutsame Belanglosigkeiten: Erkundungen der Detailelemente des Stadtraums
Seit es sie gibt, also seit etwa 10.000 Jahren, sind unsere Städte Orte, wo Menschen zusammenkommen, wohnen, arbeiten und miteinander interagieren. Dafür wurden seit der Antike die öffentlichen Räume gestaltet: mit gepflasterten Flächen, Bürgersteigen und Straßenbäumen. Sie wurden auch ausgestattet: mit Sitzgelegenheiten, Brunnen, Beleuchtungselementen und sogar mit Toiletten. In Pompeji etwa gab es seit der augusteischen Zeit über 40 Laufbrunnen, meistens an den Straßenecken aufgestellt. Mit der Vereinnahmung des Stadtraums durch das Bürgertum im 19. Jahrhundert erreichte diese Gestaltung und Ausstattung einen Höhepunkt.
Die Details der Stadt, die kleinen Elemente des Stadtraums sind nicht nur Dekoration und Einrichtung, sondern fester Bestandteil von Straßen und Plätzen. Sie wurden nicht beliebig ausgebildet, geformt und realisiert, sondern absichtsvoll, mit Bedacht und nicht selten mit Sorgfalt. Und sie tragen nicht nur entscheidend zur Qualität des Stadtraums bei, sondern verraten auch viel über seine Entwicklung, seine Nutzung in der Zeit und seine besondere Kultur.
Ich werde versuchen, den Stadtraum der abendländischen Stadt in seine wichtigsten Bestandteile zu zergliedern, die ihn konstituierenden Elemente zu benennen und von diesen konstituierenden Elementen jeweils Mikrogeschichten zu erzählen. Dies im Zusammenhang mit den unmittelbaren funktionalen Anforderungen, aber auch der technischen Entwicklung, des Klimas der Stadt, der hygienischen Bedürfnisse, der Eigentumsverhältnisse, der Mechanismen der wirtschaftlichen Verwertung der Grundstücke sowie der rechtlichen Instrumente, die diese Verwertung regeln. Nicht zuletzt werden politische, ideologische und religiöse Aspekte zu betrachten sein. Als Quellen werde ich historische Texte verwenden, aber auch literarische Zeugnisse und zeitgenössische Gemälde. Ich werde ausgesprochen selektiv vorgehen, jedoch versuchen, Beispiele, Episoden und Quellen so auszuwählen, dass diese möglichst exemplarisch und aussagekräftig ausfallen.
Von der auf diese Weise entstehenden Sammlung von Mikrogeschichten verspreche ich mir nicht nur einen kleinen, persönlichen, aber unkonventionellen Beitrag zur Stadtgeschichtsschreibung, sondern auch einen geschärften Blick auf unsere Stadträume und eine Grundlage für ihre bessere Gestaltung, eine der Hauptaufgaben der Architektur unserer Zeit.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Magnago Lampugnani, Vittorio (Berlin, 2019)
Bedeutsame Belanglosigkeiten : kleine Dinge im Stadtraum
Magnago Lampugnani, Vittorio (München, 2018)
Atlas zum Städtebau ; Band 2 ; Strassen Atlas zum Städtebau ; Band 2
Magnago Lampugnani, Vittorio (München, 2018)
Atlas zum Städtebau ; Band 1 ; Plätze Atlas zum Städtebau ; Band 1
Magnago Lampugnani, Vittorio (München, 2018)
Magnago Lampugnani, Vittorio (Berlin, 2017)
Die Stadt von der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert : urbane Entwürfe in Europa und Nordamerika
Magnago Lampugnani, Vittorio (Berlin, 2017)
Manuale zum Städtebau : die Systematisierung des Wissens von der Stadt 1870-1950
Magnago Lampugnani, Vittorio (Zürich, 2016)
Voreingenommene Erzählungen : Architekturgeschichte als Ideengeschichte
Magnago Lampugnani, Vittorio (Zürich, 2016)
Die Stadt der Moderne : Strategien zu Erhaltung und Planung
Magnago Lampugnani, Vittorio (2014)
Magnago Lampugnani, Vittorio (Zürich, 2014)
Enzyklopädie zum gestalteten Raum : im Spannungsfeld zwischen Stadt und Landschaft
Im Kolleg entstanden 17.10.19
Im Kolleg entstanden 01.05.18
Köpfe und Ideen 2018
Eine Stadt muss nicht gemütlich sein!
Vittorio Magnago Lampugnani im Interview mit Irene Dische